Mittwoch, 5. Dezember 2018

Partir, c'est toujours mourir un peu - Abschiednehmen ist immer ein bisschen wie Sterben



Partir, c'est mourir un peu,
C'est mourir à ce qu'on aime :
On laisse un peu de soi-même
En toute heure et dans tout lieu.

(Edmond Haraucourt, 1856 - 1941, aus Wikpedia kopiert (also ich, ich habe diese Strophe eines Gedichts aus Wikipedia kopiert, Monsieur Haraucourt hat sie, glaube ich, selber verfasst))



 Ja, meine Lieben, Ihr ahnt es: Ich bin mal wieder am Aufräumen und Wegschmeißen. Im Hintergrund seht Ihr ein blaues Kissen, mit dem man es sich theoretisch in der Badewanne so richtig schön gemütlich machen kann; leider jedoch nur theoretisch, denn um es zu benutzen, muss man den Hals in einem Neunzig-Grad-Winkel abknicken und das ist alles andere als bequem. Farblich passt es gut zu unserem blau-beigen Bad, aber nachdem es nun zwanzig Jahre nutzlos auf dem Wannenrand gelegen hat, heißt es nun Au revoir.
Aus dem Bad stammt auch die Glasflasche links, die einst Badezusatz enthielt und ein Geschenk war, über das ich mich sehr gefreut hatte. Als sie leer war, dachte ich: Wie schön wäre es doch, meinen Billigbadezusatz in schöne Flaschen umzufüllen (zu dekantieren, ne?). Also durfte sie auch ein paar Jahre auf dem Wannenrand stehen, leer, zwischen diversen vollen Shampoo-, Spülungs-, Duschgel- und Badezusatzflaschen. Das mit dem Dekantieren wird eh nichts. Wenn ich in den vergangenen fünf, sechs Jahren nicht dekantiert habe, dekantiere ich jetzt auch nicht mehr, deshalb heißt es nun Adieu.
Ebenfalls getrennt habe ich mich von drei angebrochenen Flaschen Weichspüler, die aber nicht auf dem Bild sind. So vor zehn Jahren habe ich aufgehört, Weichspüler zu benutzen und das Zeug ist dickflüssig geworden. Da mein ältester Sohn gesagt hat, er würde sich freuen, wenn seine Bettwäsche mal wieder aprilfrisch duften und sich kuschelweich anfühlen würde, suchte ich im Internet, ob es eine Möglichkeit gibt, das Zeug wieder flüssig zu bekommen (gibt es nicht). Also ging der Weichspüler den Weg alles Irdischen, bzw. verseucht jetzt irgendwo irgendwas.
Harina de Garbanzo, zu deutsch Kichererbsenmehl, vorn im Bild. Meine vegane Nichte hat mal bei einem Besuch - nicht beim letzten und auch nicht beim vorletzten, sondern sagen wir mal so vor zwei Jahren - uns vorgeschwärmt, wie vielseitig verwendbar doch das Kichererbsenmehl sei und was es doch alles ersetzen würde, zum Beispiel Ei, wenn man eine spanische Tortilla backt. Als ich es dann in einem Laden sah, kaufte ich dieses wunderbare Produkt. Bei uns stellt sich aber dieser Fall gar nicht, dass wir Eier durch Kichererbsenmehl ersetzen wollen. Und so nahm das Kichererbsenmehl einfach nur Platz in Bestlage im Schrank weg. Da es mir leid tat, es wegzuschmeissen, schaute ich mal auf der Packung, was man so damit machen kann: zum Beispiel Hummus. Gelesen, getan: es schmeckte grauenvoll nach rohem Kichererbsenmehl. Da ich nun aber auch die übrigen Zutaten für das Hummus verdorben hatte, beschloss ich, aus der Pampe Falafel zuzubereiten. Auch die schmeckten grauenvoll nach rohem Kichererbsenmehl. So, nun war ich bereit, mich vom Hummus, den Falafeln und dem Kichererbsenmehl zu trennen. Wenigstens muss ich mir nicht vorwerfen, etwas unversucht gelassen zu haben. 
Der letzte Gegenstand oben auf dem Bild ist ein Sushirollenmacher von Leifheit. Ja, nicht wahr, warum sind die Japaner in tausenden von Jahren nicht darauf gekommen, wie man Sushi-Rollen einfacher machen kann? Wieso musste da erst Leifheit auf die Idee kommen? In den Müll damit. Das Gerät war vom Lidl, es war nicht besonders teuer. Es hat vielleicht drei oder vier Euro gekostet, ich weiss es nicht mehr. Allerdings: Wie wenig es auch gekostet haben mag, es war noch weniger wert.
So, jetzt seufze ich tief - das hört Ihr leider nicht -, denn ich habe nicht nur weggeschmissen, ich habe auch etwas Neues gekauft, Schande über mich, nämlich einen Slow Cooker bzw. Crockpot. Das sind in den Vereinigten Staaten sehr beliebte Geräte, die zuhause das Essen kochen, während man auf der Arbeit ist. Da sie so acht Stunden zum Kochen brauchen und bei uns die Hauptmahlzeit das Mittagessen um 14 Uhr bis 14.30 Uhr ist (entsprechend der spanischen Sitte), ist das mit den acht Stunden nicht gerade ideal. Bei seinem ersten und bisher einzigen Einsatz stand ich morgens um sechs auf, um den Slow Cooker anzuschalten. Ich bereitete Hähnchen auf Gemüse zu, es war okay... aber wirklich nur okay, die Kartoffeln waren al dente, die Paprika auch, freilaufende Hähnchen sind ja naturgemäss etwas fester als diese... diese anderen Hähnchen. Aber es sieht schön aus, das Gerät, oder? Langfristig erwarte ich Grosses von ihm, ich muss mir nur erstmal die richtigen Rezepte suchen.


Er hat auch nur 23 Euro gekostet, beim MediaMarkt, beim Black Friday. Ich richte eben am Vorabend das Essen komplett, hüpfe um sechs rasch aus dem Bett, schalte den Slow Cooker an... man wird sehen. Als nächstes steht BBQ Coca Cola Pulled Pork auf dem Programm.

Montag, 19. November 2018

Meine schöne Herbstdeko

Es stimmt. Wenn ich sie Euch nicht bald zeige, ist schon wieder Zeit für die Weihnachtsdeko. Das unten ist mein "Centerpiece" für den Tisch. Ihr wisst, dass es mir wichtig ist, für die Deko möglichst kein Geld auszugeben und Material zu verwenden, das ich schon besitze, und es mit Objekten aus der Natur zu ergänzen. Auf dem ersten Bild steht es auf der schwarzen Herdplatte, damit man es besser sieht. Die Schale sind zwei große Stücker Baumrinde von meiner Krippchendeko. Das eine war zu schmal, das andere zu kurz, deshalb habe ich sie ineinander gelegt. Das sieht ziemlich gut aus, finde ich. Der Teelichthalter ist aus meinem Fundus (Depot, 99 Cents).Das Moos musste ich leider, leider kaufen (Spanien) und habe dafür 3,50 Euro hingelegt. Billigeres Moos sah viel schlechter und künstlicher aus. Die Hortensien kommen aus unserem Garten, das kleine, braune Zeug kommt von irgendeinem Baum. Gesamtkosten: 3,50 Euro. Künftiger Müll: Null. 
Die Schale aus Rinden gefällt mir so gut, für den Advent tue ich vielleicht die getrockneten Hortensien weg und ersetze sie durch Kugeln oder so. Ich verspreche Euch ein Bild von der Weihnachtsvariante und zeige dann auch, wie ich das mit den Rinden genau gemacht habe.


So sieht mein stimmungsvolles, herbstliches Arrangement auf dem Tisch aus:


Unten meine Windlichtdeko: Traubenranken aus dem Garten (Trick: grüne Ranken verwenden, die sich leicht biegen lassen, die werden in wenigen Tagen braun), Hagebutten von einem Spaziergang. Kosten null. Es sieht in Wirklichkeit viel schöner aus als auf dem Foto, ich schwör. Es steht auch auf einem anderen Platz, nämlich auf dem Couchtisch, wo es besser wirkt. Und die Kerze steht auch gerade, ts.


Ja, es wird tatsächlich schon Zeit, mit den Weihnachtsvorbereitungen anzufangen. Ich habe heuer das große Glück, alle Kinder hier zu haben. 
Die erste Dezemberwoche bin ich in Deutschland. Das bedeutet: Gelegenheit zu einem Shopping-Feldzug, bei dem alle Geschenke auf einmal gekauft werden können (mein Wort in Gottes Ohr!). Mit dem Leeren des Tiefkühlschranks (ganz wichtig!) habe ich schon vor Wochen angefangen, das dauert nämlich. So hatte ich heute Platz für die Ente, die ich bei Lidl erstanden habe. Die kaufe ich jedes Jahr, die ist ziemlich gut. Am ersten Weihnachtsfeiertag gibt es bei uns Canard à l'orange. Ein paar Dominosteine (vier Packungen) habe ich auch gekauft. Der Plum Pudding muss gebacken werden! Der muss nämlich einen Monat lang ziehen. Hier habt Ihr das Rezept: Plum Pudding 
Anstelle von Rinderfett werde ich dieses Mal aber Margarine verwenden, damit er vegetarisch ist. Das mit dem Flambieren ist ein toller Effekt und funktioniert wunderbar.  
Wie jedes Jahr nehme ich mir vor, alles perfekt zu organisieren. Wenn man nach Perfektion strebt, läuft dann mit ziemlicher Sicherheit alles so einigermaßen - und das genügt ja.

Donnerstag, 25. Oktober 2018

Mal wieder was zum Thema Putzen...

Der Beruf meines Gatten bringt es mit sich, dass er ziemlich viele Kongresse besucht und von dort stets mit frischem Wissen und einem Rucksack/einer Mappe/einem Beutel/einer Tasche, zur Erinnerung mit dem Titel des jeweiligen Kongresses bedruckt, zurückkehrt. Diese/r Rucksack/Mappe/Beutel/Tasche liegt eine Weile in seinem Arbeitszimmer und wandert dann auf den Dachboden zu seinen/ihren Artgenossen, die dort in einer Umzugskiste, die schon nicht mehr zugeht, ihrer Verwendung harren.
Da der Sommer nun doch langsam zu Ende geht, wollte ich heute die Gartenstühle in ihr Winterquartier auf dem Dachboden bringen. Dort war ganz, ganz wenig Platz und wieder einmal fiel mein Blick auf die Kiste mit den Rucksäcken/Mappen/Beuteln/Taschen aller Art, die an so viele schöne Kongresse erinnern. Ich hatte in der Vergangenheit schon mehrfach versucht anzudeuten, dass man sich gegebenenfalls mit dem Gedanken beschäftigen könnte, was langfristig mit den Rucksäcken/Mappen/Beuteln/Taschen geschehen soll, und eventuell sogar die Entsorgungsfrage zu stellen. Seine immer wiederkehrende Antwort: "Schmeiß doch dein eigenes Zeug weg!"
Es ist keine Sammlung im eigentlichen Sinne. Es ist nur so, dass die Behältnisse zu gut sind, um sie einfach so wegzuwerfen, dass man aber ü-ber-haupt keine Verwendung dafür hat und auch niemanden kennt, an den man sie weiter verschenken könnte.
Wie würde denn die Situation aussehen, in der man zig Kongresstaschen benutzt? Ich will nicht behaupten, dass es fünfzig Stück sind, aber viel weniger sind es gewiss nicht. Wer könnte denn so etwas wollen? Schulkinder in der Dritten Welt? Da sind richtig gute Taschen dabei, auch Laptop-Taschen, alles, was man sich nur vorstellen kann.
Jedenfalls hat mir mein Sohn mit den Gartenstühlen geholfen und die Rucksäcke/Mappen/Beutel/Taschen sind jetzt im Müllcontainer. Gut, dass mein Gatte diese Zeilen nicht liest. Spätestens dann, wenn er den/die nächste/n Rucksack/Mappe/Beutel/Tasche in die Kiste legen will, wird er bemerken, dass sie nicht mehr da ist. Soll ich dann tun als wüsste ich von nichts oder die ganze Schuld auf unseren Sohn schieben? Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen. Das wird ein Donnerwetter geben. Dann werde ich endlich zustimmen müssen, die ganzen Videos wegzuschmeißen, die ebenfalls mindestens eine Kiste füllen. Dabei haben die doch viel Geld gekostet! Und wir hatten unsere Freude daran! Die Technologie ist völlig überholt, das findet man jetzt alles im Internet, sagt mein Sohn und hat -nicht nur wahrscheinlich- recht. Mist. Ein Teil meiner Dekoartikel wird auch in Gefahr sein. Und altes Kinderspielzeug. Oh je. Wir müssen ein bisschen Ordnung machen auf unserem Dachboden...

Dienstag, 23. Oktober 2018

Ananas selbst ziehen


Ich hatte Euch doch von meinen Plänen erzählt, aus der Ananas, die ich aus Kolumbien mitgebracht hatte, eine Pflanze zu ziehen. Ich hatte keine großen Hoffnungen, dass das klappen würde, aber schaut mal:

Anleitungen findet man auf Youtube. Man dreht das Grünzeug raus, schneidet unten ein bisschen von dem weißen Zeug weg, reißt ein paar Blätter ab, stellt den Rest in Wasser... et voilà:


 Nach wenigen Tagen sprossen schon massiv Würzelchen...


...und ich pflanzte das Ding bzw. meine zukünftige Ananaspflanze in einen Topf. Seht Ihr, wie in der Mitte schon neue Blätter sprießen?


Gießen einmal pro Woche. Das ist bei mir sonntags, das ist mein Gießtag. Wie heißt doch der schöne Spruch? "Der Sonntag ist der Tag des Herrn, am Sonntag ruh'. bet' und gieße gern."
Meine Kaffeesamen habe ich übrigens immer noch nicht gesät. Ich will sie in Getränkedosen säen wie ich das mit den Orangensamen mit relativem Erfolg auch gemacht habe. Das ist bei uns aber nicht so einfach, weil wir keine Dosengetränke zu uns nehmen. In den vergangen zwei Monaten haben wir es unter Mühen auf fünf Dosen gebracht. Dabei bevorraten wir Dosen mit Cola, Tonic Water, Bier, Fanta und Aquarius, für den Fall, dass mal Besuch kommt, aber wenn dann Besuch da ist, vergessen wir, dass wir das Zeug haben und bieten es gar nicht an. Die Dose Aquarius ist im Juli 2017 abgelaufen, ich habe gerade geschaut. Mist. Ob das noch gut ist? Soll ich es einfach wegschütten? Dann hätte ich noch eine Dose. 

Samstag, 13. Oktober 2018

Was ich heute nacht geträumt habe

Letzte Nacht habe ich Folgendes geträumt: Ich war in China (war ich noch nie) in einer Siedlung mit vielen gleichen, weißen, zweistöckigen Häusern, die um begrünte Innenhöfe angeordnet waren. Alles war sauber und gepflegt, in der Mitte einer Einfahrt wuchsen wunderschöne rote Rosen. Eine Frau, die mir irgendwie zugeteilt worden war, kümmerte sich um mich. Ich hatte keine nähere Beziehung zu ihr, sie war, im übertragenen Sinne, gesichtslos. Ich bemühte mich nicht herauszufinden, wie die Frau hieß oder wie die Straße hieß oder die Siedlung. Weiter ging es in einem riesigen Schwimmbad. Die Frau und ich lagen auf einem Stück Wiese mit Blick auf eine Straße wie in der Siedlung. Die Aussicht von unserem Platz aus prägte sich mir ein. Ich sagte nach einer Weile zur Frau: "Ich laufe ein bisschen herum und schaue mir alles an." Die Frau blieb zurück. Die Schwimmbadlandschaft war riesig groß, es gab normale Becken, Becken in ungewöhnlichen Formen. Meine Stimmung auf meinem Weg war neugierig und fröhlich. Es gab zum Beispiel eine kurze Wasserrutsche, die ich hinunterrutschte, eine große, komplizierte, auf die ich verzichtete, und eine mittelgroße, von der ich nicht mehr weiß, ob ich sie benutzte oder nicht. Es gab ein Becken aus weichem, weißem Kalkstein mit sehr flachem Wasser, nur ein paar Zentimeter tief, in das ich mich legte. Dann setzte ich meinen Weg über grobe Steine fort, ein beträchtlicher Teil des Schwimmbads war noch in Bau. Mir kam der Gedanke, dass ich mittlerweile nicht mehr wusste, wie ich an meinen Platz zurückkommen konnte, dass ich den Namen der Frau nicht kannte und keine Ahnung hatte, wie die Straße hieß, wo sie wohnte, dass ich kein Wort chinesisch sprach, dass es mir also langsam unmöglich wurde, zurückzufinden. Ich bedachte diese Tatsachen kurz und beschloss, dass mir dies egal war.
Ich kam zu einer Klippe, die mindestens fünfzehn Meter hoch war. Wenn man direkt hinunterschaute, blickte man auf eine Wiese. Etwas weiter weg war ein kleiner, Sumpf umstandener See. Ich entschied mich zu springen, aber im Sturz dachte ich, dass ich womöglich beim Aufschlag sterben, im besten Fall mir alle Knochen brechen würde, deshalb begann ich, mit den Armen zu rudern, Richtung kleinem See, in den ich problemlos eintauchte. Dies war eine angenehme Situation. 
Dann lief ich weiter, begegnete meinem jüngsten Sohn, was mich sehr glücklich machte, und ich ging ein Stück des Weges mit ihm. Dann war ich wieder allein. Ich kam an eine hässliche Treppe, von der Sorte, die man in irgendwelchen Ecken des Außenbereichs moderner Gebäude findet. Es roch nach Pisse. In einer Ecke stand ein dicker, chinesischer Junge und pinkelte. Ich lief die Treppe hoch und war wieder im hellen Sonnenlicht in der Schwimmbadlandschaft. Ich hatte keine Ahnung, wie ich wieder zur Frau zurückfinden könnte. Ich kannte ihren Namen nicht. Ich konnte mir auch kein Taxi rufen und zu ihrem Haus fahren, da ich die Adresse nicht kannte. Ich überlegte mir, dass ich im Notfall zur Polizei gehen und dort einfach warten könnte, bis jemand nach mir fragt.
Ich lief weiter über grobes Gestein und sah schließlich den Anblick, den wir von unserem Platz aus gehabt hatten, nämlich die Straße mit den Häusern. An mehr kann ich mich nicht erinnern.
Als ich aufwachte, fragte ich mich natürlich gleich, was dieser seltsame Traum wohl zu bedeuten hatte, denn solche Träume habe ich nicht oft. Es fiel mir sofort ein: Es war der Weg durch's Leben, mit seiner Unsicherheit, Unbekanntheit, aber immer wieder begegnen einem interessante Dinge, im Positiven wie im Negativen, meist im Positiven, Gott sei Dank. Man trifft ohne großes Abwägen riskante Entscheidungen (Sprung von der Klippe), begegnet vertrauten, wenngleich stinkenden Dingen (Treppe mit chinesischem Jungen)... alles in allem war es für mich persönlich ein interessanter Traum, deshalb habe ich ihn hier festgehalten. 
Viele Dinge lassen sich natürlich auch aus tatsächlichen Ereignissen erklären:
Im Sommer habe ich viiiel Zeit im Schwimmbad verbracht. Gestern habe ich mit meiner Schwägerin über die Gestaltung von Hofeinfahrten gesprochen. Die große, komplizierte Wasserrutsche erklärt sich durch die Erzählung meiner Nichte vor ein paar Tagen von der Sommerrodelrutsche im Schwarzwald, die ihr überhaupt gar keinen Spaß gemacht hatte. Das ganz flache Wasserbecken war wie die eine Ecke im Thermalbad in Kolumbien. Der See mit dem Schilf: Gestern ist mir beim Übersetzen das deutsche Wort Schilf nicht eingefallen. Im Wörterbuch fand ich Röhricht und Ried. Im Traum ist mir "Schilf" wieder eingefallen. Dass so viel von der Schwimmbadanlage noch in Bau war, erklärt sich sicher dadurch, dass man noch im Leben steht, dass es nicht vorbei und abgeschlossen ist. Die Tatsache, dass es mir so gleichgültig war, ob ich wieder zurückfinde, hat mit meiner allgemeinen Lebenseinstellung zu tun, nämlich mir zu überlegen, was im schlimmsten Fall passieren kann und wenn das nicht so schlimm oder bewältigbar ist, mir keine weiteren Gedanken zu machen. Oder so ungefähr. Das jedenfalls war mein Traum heute nacht, der mir echt was gebracht hat.

Freitag, 5. Oktober 2018

Pereira - Stadt ohne Sehenswürdigkeiten

Okay, da kommen sie endlich, die Bilder von Kolumbien. Das erste zeigt die Autobahn zwischen Cali und Pereira. Natürlich sieht sie nicht überall so aus, aber doch auf ganz schön langen Teilstücken.


Naja, und ganz ohne Sehenswürdigkeiten ist Pereira nun auch wieder nicht, immerhin haben sie eine Statue von Simón Bolívar nackt zu Pferde auf ihrem wichtigsten Platz stehen. Simón Bolívar war DER südamerikanische Unabhängigkeitskämpfer zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wenn ich richtig sehe, hat er auch keinen Sattel. Autsch, oder? Dennoch hat die Statue was, ne?

So, das wäre jetzt der Platz, auf dem sie steht. Im Rücken hätte man aus dieser Perspektive die Kathedrale, die aber echt nicht der Rede wert ist. Aber hier wie in jeder Kirche, in der wir in Kolumbien waren: Es waren ziemlich viele betende Menschen drin. Das Verhältnis Touris zu Betern war etwa 2 zu 30, wobei die Touris mein Gatte und ich waren. Pereira ist wirklich nicht so die Fremdenverkehrshochburg.


Was gibt's zu Pereira noch zu sagen? Die Stadt hat fast 500.000 Einwohner. Es ist die wirtschaftliche Hauptstadt des kolumbianischen Kaffeeanbaugebiets, del eje cafetero. Es ist keine Stadt für Leute, die gerne nackte Männerfüße bzw. -beine sehen. Sandalen und kurze Hosen für Männer sind dort unüblich - und das liegt nicht am Wetter.
Hier kommen Bilder von der Straße, in der unsere Freunde wohnen. Es ist ein volkstümliches Stadtviertel. A. hat mir erzählt, wie sie in den Besitz ihres Hauses kamen. Die Stadtverwaltung gab den künftigen Bewohnern Rohbauten, also einfach vier Wände aus grauen Hohlsteinen mit einem ganz schlichten Dach, ohne Fenster, ohne Türen. Anschlüsse ja, Sanitäreinrichtungen etc. nein. Das mussten sie sich alles selber einbauen. Im Laufe der Jahre haben die Leute ihre Häuser natürlich aufgehübscht, die Fassaden gestrichen, Gitter vor die Fenster gemacht, viele haben noch ein Stockwerk draufgesetzt, den Bürgersteig in Beschlag genommen und zur Terrasse umgebaut, so auch unsere Freunde, die gleich mal ein Gitter um ihre Terrasse/ihren Bürgersteigabschnitt gezogen haben. Ein Stockwerk draufsetzen, z.B., ist erlaubt, wenn es nicht mehr als 30 cm überragt, 40 cm werden auch geduldet, vieles wird geduldet.
Als Tourist sieht man solche Viertel ja normalerweise nicht aus der Nähe, als Tourist sieht man normalerweise überhaupt keine Wohngegenden aus der Nähe. Es geht ja auch niemand hin und guckt, wo die Masse der Venezianer wohnt.
Unsere Gastgeber rieten davon ab, allein durch die Straßen zu streifen. Nur in unserer bzw. ihrer Straße durften wir ohne ihre Begleitung frei herumlaufen, weil die Bewohner uns als Besuch von Familie T. kannten, denn wir fallen dort ja auf. Die Leute sind misstrauisch gegenüber Fremden. Es ist für Touristen wohl definitiv nicht empfehlenswert, in einfachen Wohngegenden herumzulaufen. Aber jeder nach seiner Façon, nicht wahr? Andererseits: Wir wären ja auch nicht gerade begeistert, wenn Chinesen in unseren Straßen stehen und uns betrachten würden, weil sie uns so interessant finden, und uns beim Rasenmähen oder Gartenzwergpolieren fotografieren würden. Die Frau, die die Arepas (Maisfladen) backt, habe ich um Erlaubnis gebeten. Die Arepas sind in diesem Fall kein Street Food, sondern man nimmt sie mit nach Hause und isst sie dort zu dem, was man dort eben sonst zum Essen hat. Street Food ist meist Obst oder Säfte, aber auch viel frittiertes Zeug. Man kann alles essen, Kolumbien ist kein Durchfall-Land.



Zu der Art und Weise, wie die Leute hier leben, gäbe es viel zu schreiben, ich will aber nicht versprechen, dass ich es tun werden, weil es ja dann sicher doch wieder nichts wird. Nur so viel: Die Leute hier sind eigentlich nicht arm. Die Leute in der anderen Siedlung, von der weiter unten noch Bilder kommen, sind deutlich ärmer. Die Leute hier haben genug zum Leben und ein ordentliches Dach über dem Kopf. Das Schöne ist, dass sie ihre einfachen Häuser ziemlich frei gestalten und pimpen können. Sie können sich schöne Bäder und Küchen einbauen, wie es unsere Freunde gemacht haben, in manchen Häusern sind allerdings die Innenwände immer noch unverputzt. Sie können auf ihren Bürgersteigen/Terrassen sitzen... Als jemand, der auch unentwegt am Haus Veränderungen und Verbesserungen vornimmt, und dem es wichtig ist, sein Umfeld wenigstens ein bisschen selbst gestalten zu können, finde ich so ein Häuschen besser als eine Wohnung in einer Hochhaussiedlung. Die Leute sind arm. Haben die Kinder genug Spielsachen? An einem Abend saßen wir draußen. Um zehn Uhr spielte noch eine Gruppe von acht Kindern vor dem Nachbarhaus. Die Kinder waren vielleicht zwischen drei und neun Jahre alt und völlig unbeaufsichtigt. Sie saßen auf dem Boden und auf einem Mäuerchen und lachten und schwatzten. Dann spielten sie auf der steilen Straße eine Weile Ball. Ein kleiner Junge begann zu weinnen, die anderen kümmerten sich rührend um ihn. "Was ist denn los? Was hast du denn?" fragten sie und nahmen ihn in den Arm. Ein etwa vierjähriges Mädchen löste sich aus der Gruppe und lief ganz allein davon und kam nach einer Weile wieder. Sie spielten dann ein Lied mit Singen und Klatschen. Zwei Kleine schliefen im Schoß älterer Kinder ein und als wir um halb elf zu Bett gingen, saßen sie immer noch da und quasselten und lachten. Haben diese Kinder genug altersgerechte Spielsachen? Es ist schwer zu beurteilen.
Auf jeden Fall haben sie Freiheit. "Warum ist denn dieses Kind nicht in der Schule?" fragte ich A. eines morgens. Ein hübsches, zartes kleines Mädchen spielte vor dem Haus mit seinem Drachen. "Dieses Mädchen geht nicht zur Schule," entgegnete mir A., "es möchte nicht." Hallooo?
Das mit der Schule ist überhaupt so eine Sache hier... Das Niveau ist wohl nicht sehr hoch, trotzdem werden die Kinder nicht zu Leistungen angehalten bzw. gezwungen, wie das bei uns manchmal der Fall ist und in anderen Ländern noch viel mehr. Natürlich öffnet diese Lebensweise nicht den Zugang zu guten Arbeitsplätzen, wo man viel verdient (wobei in Kolumbien 800 Euro viel sind).
Erinnert Ihr Euch an Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral? Siehe
 https://web.archive.org/web/20170101205635/http://www.aloj.us.es/webdeutsch/s_3/transkriptionen/l_26_str10_trans.pdf
Wenn man sieht, was andere Leute haben, wird einem erst bewusst, wie viel Zeug man hat, das man gar nicht braucht. Echt seltsam. Naja, ist egal.
Hier in Pereira ist es immer warm, die Leute haben keine Winterkleidung, auch die Reichen nicht, und schaut mal, wie schön der Himmel ist, wie schön das Licht ist, wie schön die Farben leuchten. Es gibt wenige Alte und viele Kinder und Kinder sind für mich immer noch das höchste Gut. Die Schule beginnt um halb sieben!!! und findet in zwei Schichten statt, um die Klassenräume besser zu nutzen. Die Kinder tragen, wie bereits beschrieben, Schuluniformen: dunkle Jogginghosen, dunkle Turnschuhe und helle Polohemden. Mir wären die Hosen zu warm bei dem Wetter, aber sie werden ja schon von klein auf daran gewöhnt. In den Pausen stehen Händler am Schulgitter und verkaufen den Kindern Früchte und Säfte, aber auch Gebäck und Süßkram. 
Wenn man sich riesig viele Gedanken machen würde und seine Gedanken sorgfältig ordnen würde, wenn man lange und intensiv beobachten würde und sich dann richtig gut ausdrücken könnte, dann gäbe es zu diesem Themenkreis sicher sehr, sehr viel zu sagen. Die Leute sind nicht richtig arm, aber man hat das Gefühl, das ganze System hinge an einem seidenen Faden. Es könnte ganz leicht bergab gehen, wie zum Beispiel in Venezuela. Wenn ich die Bilder von Cartagena hochlade, schreibe ich da vielleicht noch mehr dazu. Nach kaufkraftbereinigtem Bruttoinlandsprodukt ist Kolumbien von 192 Ländern das 89. reichste, Deutschland steht auf Platz 18, Spanien auf Platz 34 zwischen Neuseeland und Italien, Deutschland steht zwischen Schweden und Australien, Kolumbien zwischen Mazedonien und St. Lucia. Interessant, ne? Die Liste ist bei Wikipedia zu finden.



Der Berg auf dem Bild unten ist in Wirklichkeit viel steiler, als er hier aussieht. Es ist mir echt ein Rätsel, warum Berge auf meinen Fotos immer so flach aussehen. Zwischen der Siedlung, wo unsere Freunde wohnen, und der Stadtmitte liegt ein richtiger Berg, über den man hinweg muss. Oder sind es sogar zwei? Ich weiß es nicht mehr sicher, jedenfalls sind es gewaltige Höhenunterschiede, die bewältigt werden müssen. Eine Seilbahn mit mehreren Haltestellen ist in Bau. Unten an den Hängen stehen Autos, also quasi illegale Taxis, wenn man so will, die einen gegen eine kleine Gebühr hoch oder sogar über den Berg fahren, falls man genug Geld hat und es dafür ausgegeben möchte. Einmal fuhren wir in ziemlicher Entfernung von der Siedlung, da sagte J.: "Ach, guck mal, da ist doch die Señora X!" Es war ein steinaltes Frauchen, kilometerweit von zuhause entfernt, zwei hohe Berge dazwischen... J. vermutete, dass sie auf dem Weg zum Arzt war. Was diese Leute zu Fuß für Entfernungen zurücklegen, das ist ziemlich extrem. Ich erinnere an die Reportage "Wikdis steiler Weg" von Alberto Ramos Salcedo über einen Jungen, dessen Schulweg zweieinhalb Stunden lang durch den Dschungel führt, hier auf Deutsch:


Unsere Freunde sind super gute Köche, das habe ich schon erzählt, oder?


Dies ist ein typisch kolumbianisches Essen. Reis, der nie fehlen darf, Avocado, Ripperl und dieses kartoffelartige, stärkehaltige Zeug, auf dessen Namen ich mich nicht besinne, dazu ein dicker Fruchtsaft.
Auf dem Bild unten seht Ihr eine Siedlung, in der ärmere Leute wohnen. Manche Wände bestehen nur aus einer Plastikplane. Wenn solche Siedlungen entstehen, habe ich mir sagen lassen, legt die Stadtverwaltung Strom hin und Wasser etc. und kümmert sich um die Infrastruktur. Was mich überrascht hat: Hier liefen ganz normal, ordentlich und sauber gekleidete Leute herum. Sie haben eben einfach nur kein Geld für eine gescheite Wohnung.



An einem Tag gingen wir das Patenkind meines Sohnes und seiner Freundin besuchen. Es ist das Bobbelchen links, das kleine Mädchen rechts ist die große Schwester, die, glaube ich, in die zweite Klasse geht. Was bei den Kolumbianern immer wieder auffällt: Wie freundlich und wohlerzogen die Kinder sind. Beachtet bitte auch das Haar der älteren Schwester!!! Die haben dort so wunderbares Haar. Die Urgroßmutter des Mädchens, die schon erwähnte Oma, hat mit fast neunzig immer noch (fast) solches Haar.


Okay, ich lade ein Foto von ihr hoch. Es ist die türkis gekleidete Dame mit dem Stock und der türkisen Haarspange. Wahrscheinlich waren ihre Fingernägel an diesem Tag auch türkis lackiert, sie sind immer perfekt manikürt. Beachtet das Haar! Der Mann mit kurzen Hosen und Sandalen, der mich Lügen zu strafen scheint, ist mein Gatte. Die beiden sollten aber eigentlich gar nicht auf dem Foto sein. Was ich fotografieren wollte, waren die Jeans im Vordergrund. Schaut Euch mal die Form des Hinterns an. Die Hosen sind ganz anders geschnitten als bei uns, die Schaufensterfiguren haben schon eine andere Form! Man hat dort ein anderes Schönheitsideal. Gibt es solche Hosen bei uns überhaupt zu kaufen? Eine Bekannte führt sie nach Spanien ein. Das mit den Gepäckmassen am Flughafen hat sich geklärt: Bei Avianca darf man zwei ziemlich große Koffer aufgeben, dann darf man noch einen kleinen Koffer und ein kleines Stück Handgepäck mitnehmen. Zusätzlich zahlen die Leute häufig noch für weitere Koffer, denn sie machen kleine Geschäfte, führen zum Beispiel Hosen für kolumbianische Hintern nach Spanien aus und Markenkleidung und -schuhe, die in Spanien billiger und häufig im Sonderangebot erhältlich sind, nach Kolumbien ein.


So, zurück zum Besuch beim Patenkind der jungen Leute: Wir wurden zu Agua Panela mit Käse eingeladen. Panela ist ein Block aus eingedicktem Zuckerrohrsaft. Für Agua Panela wird er in heißem Wasser wieder aufgelöst. Man erhält ein teeartiges Getränk. Darin schwimmen zwei Stücker Käse. Der kolumbianischen Käse (uns ist immer derselbe begegnet) ist wie ganz frischer Manchego-Käse, also ungereifter Käse, aber kein Frischkäse. Welcher deutsche Käse dem so in etwa entsprechen könnte, habe ich auf die Schnelle jetzt nicht gefunden. Die Kombination schmeckt jedenfalls gut. 


So, und jetzt zeige ich Euch noch etwas: Das war die Aussicht vom Balkon der Familie.



Wahnsinn, ne? Es ist ein ganz einfaches Dorf mit ganz einfachen Häusern und einer Aussicht... madre mía. Wenn man in Deutschland so eine Aussicht hätte... Darf ich mit der passenden Musik unterlegen? https://www.youtube.com/watch?v=GSwu8-ohoWs 
Gut, dass sie das nicht hören, so eine Musik passt nämlich gar nicht, aber man ist eben so sozialisiert, dass man einen großen Vogel über den Anden mit dieser Musik verbindet, oder?


Das ist das Dorf von der anderen Seite. Wenn man über die Häuser hinwegschauen würde, hätte man die Aussicht wie oben. Das Dorf liegt auf einem Bergrücken, auf der einen Seite die Anden, auf der anderen Seite liegt ein Tal mit Kaffeefeldern.
Einmal besuchten wir eine Hacienda, wo Kaffee angebaut wurde (wo wir die Altöttinger trafen, hab's schon erzählt). Unten seht Ihr, wie die reifen Kaffeebeeren aussehen. Mein Sohn hat sich als Handmodel zur Verfügung gestellt. Die Dinger werden geschält und die Kerne, die Kaffeebohnen, geröstet. Wurde dort alles erklärt, war ziemlich interessant. Ich habe mir ein paar rohe Bohnen mitgenommen, aber noch nicht gepflanzt. Das Volk, das den meisten Kaffee trinkt, sind die Finnen, haben wird dort gelernt. Sie trinken ein Mehrfaches an Kaffee wie die Kolumbianer, die eher Fruchtsäfte trinken (wer will es ihnen verdenken, bei den phantastischen Früchten, die sie dort haben?)


Und das ist der Wasserfall/das Thermalbad, von dem ich Euch erzählt habe. Der Wasserfall ist natürlich wieder sehr viel höher und steiler als er auf meinen Bildern aussieht. Er ist 95 Meter hoch. Auf meiner Suche nach Informationen dazu bin ich im Internet auf Kommentare von Deutschen gestoßen, die sich beschwert haben, dass der Eintritt zu teuer ist (7 oder 8 Euro). Da reisen die Leute um die halbe Welt, dann gönnen sie den Einheimischen die Butter auf dem Brot nicht, also wirklich. Und dann beschweren sie sich, weil es so voll ist. Ich wüsste da schon eine Lösung, die an anderen Orten durchaus praktiziert wird: Eintritt 100 Euro pro Person und Tag, dann ist es nicht mehr so voll, dann bleibt ihr nämlich draußen, ihr Säcke!






Wie Ihr wisst, hatte ich ein bisschen Bedenken wegen Kakerlaken, von denen mein Sohn gesagt hatte, dass es in Kolumbien sehr große gibt, die außerdem noch fliegen können. Ich muss Euch sagen, ich habe auf unserer Reise null Kakerlaken gesehen, keine einzige. Und diese Spinne oben, der sind wir in ihrem eigenen Habitat, also im Wald, begegnet. Wir waren in ihrem Revier, nicht sie in unserem, also okay (in der Wohnung möchte ich so ein Vieh nämlich nicht haben). Hoffentlich schaffe ich es, noch ein paar Bilder von Cali und Cartagena und so hochzuladen...

Samstag, 8. September 2018

Die Andenken, die wir aus Kolumbien mitgebracht haben

Ja, ich weiß, es gäbe noch viele andere Einzelheiten unserer Reise zu berichten, bevor ich zum Thema Andenken komme, aber dies war jetzt eben das einfachste:
Im Hintergrund seht Ihr die Aktentasche, die sich mein Gatte im Ledergeschäft Vélez gekauft hat. Vélez ist eine Kette, die Geschäfte gibt es in Kolumbien überall. Ihr Zeug sieht ziemlich gut aus und mein Sohn in Cali, der etwas davon versteht, meint, dass es auch hochwertig ist. Ich habe mir den blauen, mit Blüten bestickten Gürtel gekauft, den man in der Mitte sieht. 
Dann ist da noch die Ananas, die ich meinem ältesten Sohn mitgebracht habe, damit er erlebt, wie Ananas auch schmecken können. Den oberen Zipfel der Frucht habe ich natürlich abgeschnitten, bzw. herausgedreht und bereite ihn gemäß einer Youtube-Anleitung darauf vor, eine Zimmerpflanze zu werden. Daneben liegt eine Avocado. Die Avocados sind dort auch ganz anders, cremig, sahnig, köstlich. Der absolute Luxus, dabei kosten sie fast nichts. Eigentlich waren es zwei Avocados, aber die eine hatten wir schon gegessen, als ich das Foto gemacht habe, hahaha. Was gibt es noch? Den Hummerkühlschrankmagnet, den ich am Strand von Cartagena erworben habe. Zwischen dem Magnet und der Avocado liegt eine kleine Nachbildung einer Botero-Figur, die auf einem Platz in Cartagena steht bzw. liegt. Man sieht sie nicht gut, weil sie fast schwarz ist. Fernando Botero ist der kolumbianische Bildhauer, der diese dicken Figuren schafft oder malt. Diese Nachbildung hat mir besonders gefallen, weil die Stellen, die an der echten Figur abgegriffen sind (man darf sie anfassen), nämlich der Bobbes oder der Busen und so, auch bei dieser Darstellung heller sind. Sie kommt in unsere Sammlung "Schönes aus aller Welt". Sie hat, glaube ich, so drei Euro fünfzig gekostet. Echt wenig. Ich hätte auch mehr dafür bezahlt. Handeln ist in Kolumbien, wie ich Euch bereits gesagt habe, nicht so üblich. 
Was in der Mitte liegt und aussieht wie ein Vogelnest ist das Zeug, das hier in Massen von manchen Bäumen hängt und das man als Krippenschmuck verwendet. Dafür habe ich es auch mitgenommen. Daneben liegt noch ein Kühlschrankmagnet, nämlich ein kleiner Korb voller kolumbianischer Backwaren, der zu meiner Sammlung "Magneten mit Speisen aus aller Welt", die an der Brandschutztüre zwischen der Küche und der Garage hängt, kommt. Dahinter liegen zwei Tafeln besonders gute kolumbianische Schokolade (waren ursprünglich drei Tafeln), denn in Kolumbien wächst nicht nur Kaffee, sondern auch Kakao. 
Die Dinger, die wie Hasenboller aussehen, sind Kaffeesamen, die ich zu säen gedenke. Jetzt ist aber, glaube ich, nicht der richtige Zeitpunkt, da muss ich mich erstmal kundig machen. Ich kann mir echt nicht erklären, wie diese ganzen Samen wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist. Da liegen die winzigen Körner einen Zentimeter unter der Erde und wissen trotzdem, dass es September ist und nicht März und sie lassen sich nicht überlisten. Wunder der Natur, stimmt's? Die Kaffeesamen liegen auf einem Umschlag, in dem sich eine Rose befindet, die der Führer meinem Gatten auf der Finca gab, wo das Buch María spielt, von dem ich Euch schon erzählt habe, damit er er sie mir überreichen möge, die Rose. Dahinter seht ihr das Buch selbst und darauf "El amor en los tiempos del cólera",  "Die Liebe in den Zeiten der Cholera", das in Cartagena de Indias am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jhs. spielt. Obwohl ich andere Bücher von Gabriel García Márquez gelesen hatte, zum Beispiel "Hundert Jahre Einsamkeit", das mir sehr gut gefallen hat, oder "Bericht eines Schiffbrüchigen", das eigentlich Bericht eines Schiffbrüchigen, der zehn Tage lang, ohne zu essen und zu trinken, auf einem Floß trieb, der zum Helden des Vaterlandes ausgerufen, von Schönheitsköniginnen geküsst, durch Werbung reich, gleich darauf durch die Regierung verwünscht und dann für immer vergessen wurde heißt und im Titel schon die komplette Geschichte preisgibt. Obwohl man also zu Beginn schon alles weiß, was geschieht, gelingt es dem Autor den Leser zu fesseln. Das Buch ist dünn, es eignet sich gut zum García Márquez-Probelesen. Es stammt aus seiner frühen Schaffensperiode (1955), aber seine Werke sind zeitlos. Es sind die großen Klassiker von morgen. "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" hatte ich nicht gelesen, weil mir der Titel nichts Gutes zu verheissen schien. Cholera ist doch eine Durchfallerkrankung, oder? Naja, jetzt habe ich es gelesen und es ist richtig, richtig, richtig gut. Es hat nicht viel Handlung, aber die Erzählweise ist toll, also, für meinen Geschmack. Es ist so schwer, gute Bücher zu finden, und diese ganze Werbung für immer neuen Mist macht es einem auch nicht gerade einfacher. 
Wir waren also in Cali und in Cartagena in Buchläden und... also, mein Gatte ist ein Vielleser und kauft viele Bücher, aber ich glaube..., also, die Erfahrung, die man in Buchläden macht... es gibt mittlerweile überall auf der Welt in den Buchhandlungen dasselbe zu kaufen, dieselben Autoren, es wird hin und her übersetzt wie blöd. Es ist natürlich gut, wenn einem interessante Sachen aus anderen Ländern zugänglich gemacht werden, aber ü-ber-all dasselbe... Außerdem leiden Texte beim Übersetzen, das muss einem klar sein, und je anspruchsvoller sie sind, je besser geschrieben, desto mehr leiden sie. Schrott kann man beim Übersetzen sogar aufpolieren. Ist so. 
Aber gut, das ist sie eben, die Globalisierung - und in Kolumbien haben sie ja noch ihre eigene Musik und ihre eigenen Hamburger-Ketten und ihr wunderbares Obst, und die internationalen Klamottenmarken sind zwar heiß begehrt, aber sie können sie sich nicht leisten. Und neben den Hollywood-Filmen haben sie noch ihre Telenovelas. 
Um noch mal auf das Thema Bücher zurückzukommen: Der Durchschnittsnettolohn in Kolumbien im Jahr 2018 beträgt ziemlich genau 300 Euro, das habe ich gerade nachgeschaut. Bücher kosten genauso viel wie in Spanien, also gerne auch mal 20 Euro. "Die Liebe in den Zeiten der Cholera", ein Taschenbuch, hat 34.000 Pesos gekostet, das sind 11 Euro. In Deutschland kostet es 9,95 Euro, wie ich gerade nachgeschaut habe. Das ist ganz schön ungerecht, oder? Andererseits muss es wohl so sein, denn wenn Bücher in Lateinamerika dem Einkommen entsprechend billiger wären, würden ja die Spanier ihre Bücher alle in Lateinamerika bestellen. Allerdings gibt es in Amerika zehnmal soviele Spanischsprecher wie in Spanien selbst... naja, ist halt so. Ach, was ich noch mitgebracht habe, was unter dem Gürtel liegt: Eine Wohnzeitschrift. Darin wird so ein tolles Haus vorgestellt, die musste ich einfach haben. Das Haus steht außerhalb von Bogota, sicher wird es von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht. Tschüss für heute...   

Mittwoch, 29. August 2018

Tage zehn und elf - immer noch in Cartagena de Indias - ah, our lonely planet

Tag zehn: Morgens versuchten wir, einen Ausflug zur Insel Barú einschliesslich Schnorcheln zu machen, wir waren leider zu spät, deshalb haben wir den Ausflug heute gemacht. Mein Gatte war bei der Delphin-Show, während es mir gar nicht gut ging, aber dazu später mehr. 
Also, was gestern war: Morgens gingen wir an den Strand (statt Ausflug). Wenn ich heute ersoffen wäre, hätte sich mein Leben dadurch, dass wir gestern das Schiff verpasst haben, um einen Tag verlängert. Think about it.
Als wir vom Strand genug hatten, gingen wir ins Hotel. Während wir uns duschten, ging ein Gewitter mit Starkregen nieder. Wir assen im Hotelkomplex, typisch kolumbianisch, Reis, gebratene Banane, Schwedensalat und Fleisch oder Fisch, das ist hier das übliche. Nach dem Regen machten wir einen Spaziergang durch das Millionärsviertel. Die Hochhäuser sind alle weiss und ordentlich, uniformierte Dienstmädchen führen Yorkshireterrier spazieren. Auf den Strassen stand das Wasser teilweise dreissig Zentimeter hoch. Den Abend verbrachten wir auf der Sunset-Terrasse des Hotels im Infinity-Pool. Ja. Die Sonne geht so um halb sieben unter, aber es ist immer zu diesig für einen erstklassigen Sonnenuntergang. Man kann in der Dunkelheit im Pool Richtung beleuchtete Altstadt schwimmen, das ist ziemlich... geil, oder so.
Und dann kam der heutige Tag. Ich möchte nicht noch mehr schlechtes Karma auf mich ziehen, ich bin echt ein bisschen ängstlich geworden. Aber der Reihe nach. Wir hatten schon gestern den Ausflug zu dieser traumhaften Insel Barú gebucht, die in den Reiseführern top gelistet ist. Um acht Uhr fünfzehn holte uns ein Bus/ein klappriger Bus ab und wir fuhren zu dem Hafen, wo die Ausflugsboote ablegen. Dort mussten wir erst einmal ewig in der Sonne rumstehen, aber so hatten wir Gelegenheit, Mitreisende kennenzulernen, nämlich ein nettes, junges, argentinisches Ehepaar. Wir warteten und warteten, dann wurden wir von den Argentiniern getrennt, weil wir verschiedenfarbige Armbändchen hatten.
Wir bestiegen unser Schiff. Wir sassen ungefähr eine halbe Stunde im schaukelnden Boot in der prallen Tropensonne und warteten, bis alle fünfzig Plätze besetzt waren. Dann ging es los. Das Boot fuhr am Flottenstützpunkt und an den Industriehafenanlagen vorbei aufs offene Meer. Das war recht interessant. Diese riesigen Containerschiffe! Der helle Wahnsinn.
So, weiter ging's. Ich sass am Bootsrand, Steuerbord oder Backbord oder irgendsowas. Neben mir sass ein steinalter Peruaner, der mit seiner Gattin und seiner Tochter unterwegs war. Ich schätzte ihn auf neunzig oder fast neunzig. Er war in diesem Alter, in dem die Haut auf der Nase schon dünn wird und spannt, auf seiner peruanischen Adlernase. Der fährt bestimmt nicht zum Schnorcheln, dachte ich. Doch, er fuhr zum Schnorcheln. Mein Gatte stieg eine Haltestelle früher aus, auf einer kleinen Insel, wo es ein Delphinarium mit Delphinshow etc. gab. Mein Sohn und ich fuhren weiter zum Schnorcheln, worauf ich mich sehr gefreut hatte. Ich hatte sogar meinen Schnorchel und die Taucherbrille aus Spanien mitgebracht. Das Boot hielt schliesslich mitten im Ozean, in geringer Entfernung von einer Insel. Es waren noch mehr Schnorchelgruppen unterwegs. 
"Gute Schwimmer springen zuerst rein," sagte der Führer. 
"Wie kommt man denn wieder raus?" fragte ich, denn ich sah keine Leiter am Boot. 
"Da gibt es eine Plattform," antwortete er. 
Da ich mich zu den guten Schwimmern zähle, sprang ich als eine der ersten hinein. Ich landete im Wasser und mir war schlecht. Es ist nicht so, dass mir schlecht wurde, mir war sofort schlecht. Einmal hoch mit den Wellen und einmal runter und ich war verzweifelt. Der Führer hatte empfohlen eine Rettungsweste anzuziehen, aber ich hatte aus oben genanntem Grund darauf verzichtet. Die Wellen waren hoch, mir war zum Kotzen. Ich rief nach einer Rettungsweste, die im Wasser anzuziehen nicht gerade einfach war. Mein Sohn war in meiner Nähe, ich setzte ihn von meinem traurigen Zustand in Kenntnis. Wir riefen dem Kapitän zu, er solle bitte in meiner Tasche die Reisekaugummis suchen, in meiner Reisetasche, in der sich natürlich auch meine Unterwäsche befand, und mir einen zuwerfen. Meinem Sohn gelang es, ihm den Kaugummi aus der Hand zu nehmen. Ich steckte ihn rasch in den Mund. Nicht umsonst steht auf der Packung, dass man ihn eine halbe Stunde vor Reiseantritt kauen soll. Die Wellen hoben und senkten mich. Eigentlich sollten am Boden Korallen sein, da waren aber keine. Ich weiss allerdings nicht, wie genau Korallen definiert sind, vielleicht waren die braunen Steine am Boden ja Korallen. Wenn man sich auf grosse Steine stellte, hatte man Boden unter den Füssen, aber aufgrund des starken Wellengangs konnte man sich nicht halten. An einer Stelle klemmte ich meinen Fuss zwischen zwei Steine, um stehenbleiben zu können, aber die Wellen hoben und senkten mich weiter und mir war üüübel. Ausserdem bekam ich Angst, meinen Fuss nicht mehr herauszubringen. 
Das Schnorcheln war auch für Nichtschwimmer und Kinder ab fünf empfohlen worden. Es ist ein Wunder, dass wir alle heil wieder nach Hause kamen. Die Nichtschwimmer hielten sich an Rettungsreifen fest, die von den Führern hin- und hergezogen wurden, wir waren nicht die einzige Schnorchelgruppe. In meiner Verzweiflung hielt ich mich am Rettungsreifen von zwei Mädchen fest und entschuldigte mich bei ihnen. Unsere Gruppe hatte sich mittlerweile entfernt, ich befand mich mitten in einer anderen Gruppe. Ihr Führer war ein kleiner, dünner Schwarzer, der fest auf einem Stein zu stehen schien. Ich hielt mich an ihm fest, unter heftigen Entschuldigungen, und suchte auf dem Meer nach meiner Gruppe. Mein Sohn winkte und rief, ob er kommen sollte. Er hatte mich schon vermisst. Ich wollte ihn nicht belästigen und ihm den Ausflug nicht vermiesen und schrie nein, mich am kleinen, dünnen Schwarzen festklammernd. Er kam trotzdem mich holen und gemeinsam schwammen wir Richtung Boot, das sich gerade anschickte, den Platz zu wechseln. Mein Sohn schrie, jemand pfiff schrill, da pfiff ich auch, denn ich wollte nicht, dass das Schiff weiter weg fährt und wir ihm hinterher schwimmen müssen. Der Rest der Gruppe war auch schon fast beim Schiff. Niemand bat darum, ein bisschen länger schnorcheln zu dürfen. 
Da türmte sich also nun die Schiffswand vor uns auf und, wie vermutet, war da keine Leiter und auch nichts Leiterähnliches. Die ersten Personen wurden von einem schmächtigen, jungen Matrosen (schwarze Haut, hellblaue Augen) hochgezogen, ich war am Ende meiner Kraft.  
"Du kannst mich nicht hochziehen," sagte ich zum Matrosen. "Ich bin dick und mir ist super schlecht!" 
"Doch, doch, ich kann jeden hochziehen," antwortete er. "Stell' den Fuss auf die Plattform," sagte er. Die Plattform war ein winziges Rändchen entlang des Schiffsrumpfes, vielleicht eineinhalb oder zwei Zentimeter breit, darauf sollte man ein Bein stellen und sich hochstemmen. Unmöglich, logisch. Ich versuchte zu tun, was er gesagt hatte, schaffte es auch so halbwegs, aber da war nichts, wo man sich oben gescheit festhalten konnte und ich plumpste wieder ins Wasser zurück. Über das Schämen war ich zu diesem Zeitpunkt bereits hinaus. Ich versuchte es noch einmal und schaffte es. Der Matrose zog mich über die Schiffskante wie einen bewusstlosen Wal. Mein Sohn erzählte später, er hätte sich auf den Rücken gelegt und mit den Beinen meinen Hintern hochgeschoben. Ich fragte ihn, ob die anderen Schnorchler nicht geguckt und gelacht hätten. Er antwortete mir nein, die wären alle mit sich selbst beschäftigt gewesen. Da war ich nun also im Boot und es war mir immer noch sooo schlecht. Ich schleppte mich wieder in die Richtung meines Platzes, sank aber vorher nieder, neben der Gattin des alten Peruaners. Sie war sehr nett und kümmerte sich rührend um mich. "Atmen Sie ruhig und tief," sagte sie. Ich fragte, ob sie Ärztin sei und sie antwortete, sie sei Lehrerin gewesen. Wir fuhren zur nächsten Haltestelle, wo mein Gatte zustieg. "Die Delphinshow war toll," verkündete er. "Ich habe schöne Bilder gemacht. Wollt ihr sie sehen?"
Ich hing stumm und elend in meinem Sitz und wollte die Bilder nicht sehen. 
Die Peruanerin machte mir vor, wie man ruhig und tief atmet. Es war nicht einfach, ihrer Anweisung zu folgen. Die Luft war nämlich grottenschlecht durch die vielen Boote, die ihren Motor laufen liessen. Und es war nicht dieser frische Duft von Benzin, den man an Tankstellen ganz gerne riecht, es war der fürchterliche Gestank von Abgasen, den junge Menschen vielleicht gar nicht mehr kennen. Es roch wie vor fünfzig Jahren an einer stark befahrenen Kreuzung in einer Grossstadt, es roch wie kurz vor der Kohlenmonoxyd-Vergiftung. Das ist der typische Karibik-Duft. (Kann man sich eigentlich noch mit Autoabgasen umbringen, jetzt, wo es diese ganzen Katalysatoren gibt? Naja, egal.)
Das Boot schaukelte eine halbe Stunde in der Sonne, bevor alle Besucher des Delphinariums wieder zurück waren. Ich kaute noch einen Reisekaugummi. Dann fuhr das Boot zurück zum berühmten weissen Strand der Insel Barú. Der Strand sieht haargenau so aus wie der Strand auf Postern von der Karibik. Das Wasser ist völlig klar, der Sand weiss und so weiter. Hinter dem schmalen Strand steht eine geschlossene Reihe von Karibikbüdchen - möchtegern Karibikbüdchen hätte ich fast geschrieben, aber die sind hier ja nicht möchtegern, es sind die Originale. Es gibt Hostels und natürlich Wirtschaften ohne Ende. Das Mittagessen war im Preis des Ausflugs inbegriffen. Ich dachte, vielleicht tut es mir gut, wenn ich etwas esse. Es war das typische Essen: Reis, gebratene Banane, Schwedensalat und den Fisch, der vor Ort massenhaft gefangen wird. Es ist nicht sehr viel dran an diesem Fisch, er wird frittiert serviert. Dazu gab es Limonade. Ich brachte fast nichts runter. Wir sassen mit einer Familie aus Pereira am Tisch. Die Frau erzählte, ihr sei auch im Wasser sofort schlecht geworden. Nach dem Essen mieteten wir uns in einem der Büdchen eine riesige, bettartige Liege, wo ich sofort einschlief. Ich glaube, das lag an den zwei Reisekaugummis hintereinander.  
Auch an diesem Strand roch es wie fünf Minuten vor Smog-Alarm.
Nach einer Weile begann es, ganz leicht zu regnen. Wir lagen unter dem Sonnenschirm, nur unsere Waden wurden nass. Das war ein schönes Gefühl in dieser Hitze, denn das Meer ist dreissig Grad warm und bietet keine Abkühlung. Die kühlen Regentropfen auf der heissen Haut, das war das Schönste am Ausflug, darin waren wir uns einig. 
Anschliessend ging es mit dem Boot zurück nach Cartagena. Der Kapitän raste eine Stunde lang wie eine gesengte Sau, das Wasser spritzte rechts und links hoch, die Fahrgäste waren völlig durchweicht. Gut, dass er vorher darauf hingewiesen hatte, dass man sein Handy in Sicherheit bringen sollte. Dem alten Peruaner, neben dem ich auf dem Rückweg wieder sass, reichte es irgendwann und er pfiff sehr  laut und schrill. Er war das auch gewesen, der auf der Schnorcheltour gepfiffen hatte. Er konnte gellend pfeifen, ohne die Finger zu Hilfe zu nehmen. Anschliessend lachte er leise vor sich hin, da natürlich niemand dachte, dass er das gewesen war.
Klatschnass kamen wir im Hafen an. Der Reiseleiter forderte uns mehrfach auf, ihm Trinkgeld zu geben. Ich beobachtete, wie viel Geld er nach dieser Tour/Tortur tatsächlich von seinen Kunden bekam. Ein Kind gab ihm zweitausend Pesos, das sind sechzig - Pfennige, wollte ich gerade schreiben, hahaha, sechzig Cents meine ich natürlich. Ich habe mich immer noch nicht zu 100% von der Übelkeit erholt. 
Mein Gatte sagte: "Die Tatsache, dass weder Amerikaner noch Europäer am Ausflug teilnahmen, hätte uns zu denken geben müssen." Hätte, hätte, Fahrradkette, kann ich da nur sagen. 
Abends gönnten wir uns ein Essen in einem etwas gehobenen Restaurant. 

Sonntag, 26. August 2018

Tag 9 - Cartagena de Indias, ah, die Karibik...

Wir waren am Strand. Er ist herrlich und liegt direkt vorm Hotel, man muss nur eine schmale Strasse überqueren. Das Wasser ist ganz sauber und so 29, 30 Grad warm. Die Wellen sind so stark, dass man nicht schwimmen kann, aber nicht so stark, dass sie einen umschmeissen. Er ist praktisch unendlich lang, jeder kann in der ersten Reihe am Wasser sein. Ein Top-Strand in jeder Beziehung. 
Wir mieteten uns drei Liegen und einen Sonnenschirm und richteten uns häuslich ein. Ein Verkäufer nach dem anderen lief vor uns vorbei. Sie priesen die unterschiedlichsten Waren an. Schliesslich kam einer, der gekochten Hummer verkaufte. Damit war für mich das Mass alles Vorstellbaren überschritten und ich beschloss in mein Notizbuch zu schreiben, was so alles an uns vorbei getragen und uns angeboten wurde. Es geht los: Tatoos, die man abwaschen kann, Perlenarmbänder, schön aufgeschnittenes Obst, Bier, einzelne Perlen, Eis, Erfrischungsgetränke, Massagen, Musiker, Halsketten, gekühltes Wasser, Zigaretten einzeln oder im Päckchen, einschl. Ansteckservice, hausgemachtes Gebäck, Strohhüte, frittierte Speisen, Rapper, die einzelnen Badegästen karikierende Songs widmen, Sonnenbrillen, Hängematten, Strandkleider, auch in grossen Grössen, Andenken aus Stein, aus Holz, aus Plastik, schön geschnitzte Dominosteine, komplette Mittagessen mit gebratenem Fisch in Styroporschalen, Schnaps, Flaschenöffner in Bierflaschenform, Pareos (so grosse Tücher, aus denen man sich einen Rock oder ein Kleid binden kann), Haarbänder, Cocktails, ein Beinamputierter, der einfach nur bettelt, ich weiss nicht, was ihn daran hindert auch etwas zu verkaufen oder zu singen. Die auf den Liegestühlen neben uns halten dauernd jemanden an. Sie haben schon gebratenen Fisch und Frittiertes sowie Obst gegessen, Fruchtsäfte getrunken und Armbändchen gekauft. 
Ausserdem gibt es Bodyboardverleiher, auf dem Wasser fahren Jetskis (oder wie diese Wassermotorräder heissen), auf denen man mitfahren kann. Ein Eisverkäufer kommt gerade vorbei. Mein Sohn wollte eigentlich Eis kaufen, er ist aber gerade nicht da. Kokosölverkäufer. Die neben uns lassen sich die Füsse massieren. Gerade bieten sie Ceviche (marinierte Krabben) an. Die neben uns gönnen sich Eis. Es sind so viele Verkäufer, dass sie sich manchmal stauen. Die Strohhüte werden wieder angeboten. Zwei Mädchen aus der Gruppe neben uns beschliessen, Jetski zu fahren. Armbändchen, T-Shirts, eine taubstumme Bettlerin, wieder die Flaschenöffner, Strandkleider, Wasser, ich komme mit dem Schreiben kaum nach. Eine Prozession führt vor uns vorbei. Strandeimerchen. Viele Produkte sind echt sinnvoll. Reis mit Hühnchen, kalte Getränke, typisch venezolanisches Gebäck. Ich schreibe in Echtzeit (mit dem Kuli, für den Blog habe ich es einfach noch mal abgeschrieben). Gerade ist Ruhe, während unsere Nachbarn sich von den Venezolanern das Gebäck erklären lassen. Arepas (Maisfladen), Augenbrauen zupfen. Unsere Nachbarn beginnen eine Diskussion mit den Venezolanern, warum sie ihren Präsidenten Maduro nicht endlich zum Teufel jagen und kaufen Gebäck. Ein ausgewachsenes Orchester nähert sich, Massagen, kühles Bier, Bonbons, gebratener Hummer, Fruchtsaft, das Orchester ist in geringer Entfernung monoton trommelnd stehengeblieben. Zum Orchester gehören auch Tänzer, sie stehen jetzt vor uns, Popcorn, Mango, dem einen Tänzer läuft der Schweiss über das Gesicht, das Orchester zieht weiter. Mit Lederummantelung verzierte Flaschen, Einwegtatoos, ich schreibe ohne Unterlass, Kühlschrankmagneten. Uff, Pause. 40 Sekunden, ich habe auf die Uhr geschaut. Wasser, Rosenkränze, Wasser, Bier, Badehosen - auch keine schlechte Idee, Strandkleider, Fruchtsäfte, Akkordeonspieler, Haarschmuck, kolumbianische Fahnen, Armbänder, Bier, Wasser, Bier auch alkoholfrei, Ohrringe, Armreifen, venzolanisches Geld, Pause, 1 Minute, Tatoos, 2 Minuten Pause, Sonnenbrillen. Wenn mein Sohn wiederkommt, kaufen wir Eis, also wenn ein Eismann vorbeikommt, bloss nicht bewegen, hahaha. Unsere Nachbarn kaufen Bananen. Selfiesticks, Einer, der den Namen des Kunden auf Reiskörner schreibt, Sonnenöl, Schwimmreifen in allen Grössen, kleine Grills mit Würstchen werden vorbeigetragen. Ich halte einen Verkäufer an: "Möchten Sie das Würstchen gut durchgebraten oder nur knapp? Mit dieser Sauce oder jener?" Eine Arepa (Maisfladen) gibt es noch dazu. Kaum habe ich mein Würstchen (auf einem Spiess, damit man es gut essen kann), eilt ein Getränkeverkäufer herbei, dem ich ein gekühltes Getränk abkaufe. Bälle, USB-Sticks mit 600 typischen Liedern. Es ist Mittagessenszeit. Noch mehr Grills und komplette Essen in Styroporschalen. Das venezolanische Gebäck war anscheinend sehr gut, unsere Nachbarn warten auf die Rückkehr der Verkäufer. Hähnchenschenkel, Chips, Lutscher, Mango. Die Nachbarn kaufen zwei Flaschen Bier und legen sich damit dahin, wo die Wellen auslaufen. Meer umspült in der Karibik ein kühles Bier trinken... sie verstehen zu leben. Der Eismann kommt wieder, mein Sohn ist immer noch nicht zurück. Dominosteine, Cocktails, Ceviche, Andenken. 
Ich kaufe mir einen Kühlschrankmagnet in Form einer Languste. Alle Teile bewegen sich, weil sie mit empfindlichen Federn befestigt sind (gegebenenfalls lade ich ein Foto hoch, wenn wir wieder zuhause sind). Fussballtrikots, kubanische Zigarren. Zwischendurch lief ergänzend einer herum, der einem anbot, irgendetwas zu bringen von den vorgenannten Sachen, zum Beispiel ein Schippchen und Eimerchen für weinende Kinder. Ja, es ist der helle Wahnsinn. Zum Umgang mit all diesen Händlern: Man ignoriert sie nicht genervt, wie man das in Europa vielleicht tun würde, sondern man bedankt sich. Ja, man sagt ihnen allen freundlich "Gracias". Wenn man liest oder in sein Notizbuch schreibt, lassen sie einen in Ruhe. Handeln ist hier auch nicht üblich. Die genannten Preise sind normalerweise okay. Die Leute müssen ja von irgendwas leben.

Samstag, 25. August 2018

Tag acht - Ankunft im Themenpark Cartagena de Indias und ein Kessel Buntes

Dieser Eintrag wird völlig chaotisch. Ich befinde mich in der Karibik, in unserem Hotel in Cartagena de Indias, dem Intercontinental, in unserem grossen, bequemen Zimmer mit frontalem Blick aufs Meer. Ja, geniesst Euren Neid eine Sekunde lang, bevor ich Euch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückhole, wir dürfen das Hotel nämlich zweimal bezahlen. Ich Idiot habe das Zimmer auf einer Fake-Website gebucht. Ich buche Hotels immer auf der Seite von Tripadvisor.com, von dort wird man zu den einzelnen Anbietern weitergeleitet und in meinem Fall war das eben GalaHotels.com. Ich reservierte und bezahlte im Voraus. Mit unserer ausgedruckten Buchungsbestätigung erschienen wir an der Rezeption des Hotels, dort wusste man von nichts. Der freundliche junge Mann, der uns am Empfang bediente, verschwand hinter den Kulissen, blieb ewig verschwunden. Als er dann zurückkam, hatte er sogar in der Türkei angerufen, wo dieses verbrecherische Unternehmen GalaHotels seinen Sitz hat. Natürlich erfolglos. GalaHotels sind Betrüger, schnief, schnief, schnief, und wir bzw. ich bin auf sie hereingefallen. Ein Haufen Geld im Arsch. Das Intercontinental in Cartagena gibt uns zum Trost 10% Rabatt und kostenloses Frühstück. Immerhin.
Karmamässig war heute kein besonders guter Tag. Auf unserem Flug von Pereira nach Cartagena sind wir nämlich auch schon beschissen worden, in diesem Fall vom tschechischen Flugvermittler kiwi.com (über Kayak gebucht). Warum man einen kolumbianischen Inlandsflug bei einem tschechischen Unternehmen bucht, das erschliesst sich sowieso nicht auf den ersten Blick - auf den zweiten auch nicht, aber es wird schon seine globalisierte Richtigkeit haben. Jedenfalls hatten wir zwei Sitzplätze und pro Nase einen aufgegebenen Koffer gebucht und bezahlt. Als wir am Schalter standen, wollten sie noch einmal Geld für die Koffer. Mein Gatte zeigte unsere Buchungsbestätigung, auf der klar und deutlich stand: 2 Personen, 2 aufgegebene Koffer. Das war den Heinis von Viva Colombia egal, wir mussten noch einmal blechen. Wir sollten bei den Tschechen reklamieren, sagten sie uns. Na toll. 
Mein Gatte und ich sassen im Flugzeug auch nicht zusammen, das hätte nämlich auch extra gekostet.  Wir sassen vier Reihen und einen Platz auseinander. Neben ihm war ein Mann, der von Cartagena aus zu einer Kreuzfahrt aufbrechen wollte. Seine Frau sass auch von ihm getrennt. Naja, auf ihrer Kreuzfahrt werden sie noch genug Zeit miteinander verbringen. Neben mir war ein junges Paar auf Hochzeitsreise, das hatte dafür bezahlt, zusammensitzen zu dürfen. Die beiden waren witzig. Sie waren noch nie zuvor geflogen und als der Flieger abhob, begann die Frau zu lachen und zu schreien und konnte gar nicht mehr aufhören und ihr Mann wurde auch ganz euphorisch und noch ein paar Erstflieger im Flugzeug liessen sich anstecken, das war lustig.  
Nach unserer Ankunft ging's ins Hotel. Was dort geschah, siehe oben. Nachdem wir uns vom Schock (Es gibt wahrlich Schlimmeres. Hauptsache alle gesund und niemanden umgefahren.) erholt hatten, fuhren wir mit dem Taxi in die Altstadt von Cartagena. Wir waren ziemlich niedergeschlagen und hatten keinen Sinn für Nichts. Ja, es hat schon seine Gründe, warum die meisten Leute Pauschalreisen buchen. 
Cartagena ist eine der schönsten und superallerbesterhaltendstenden spanischen Kolonialstädte in Lateinamerika und gehört zum Weltkulturerbe. Ja, hm. Wie gesagt, mit seinen bunt bemalten Häusern und schönen Balkonen und Gittern und tropischen Pflanzen, die an den Fassaden hochranken und die Innenhöfe zieren, fühlt man sich ein bisschen wie im Themenpark "Lateinamerikanische Kolonialstadt". Es ist eigentlich wurscht, ob es echt oder ein chinesischer Nachbau ist. Ich fragte meinen Gatten, ob sich die Touristen in Salamanca wohl auch manchmal wie in einem Themenpark fühlen, wie im Themenpark "Siglo de Oro", dem spanischen Goldenen Zeitalter im 16. und 17. Jh., in dem Salamanca seine Blüte hatte, und mein Gatte antwortete ja. 
Die ganze Altstadt von Cartagena ist von einer Festungsmauer umgeben, auf der man herumspazieren kann. Auf den Wiesen gleich ausserhalb liessen Kinder hunderte von Drachen steigen. Morgen müssen wir die Stadt noch einmal in aller Ruhe erkunden. Direkt vor unserem Hotel ist der Strand... ich werde Euch auf dem Laufenden halten und vor allem noch einmal auf Pereira zurückkommen. Unser Aufenthalt in der Stadt ohne Sehenswürdigkeiten war nämlich sehr interessant und informativ.
P.S.: Apropos GalaHotels Betrug: Wir haben das Geld von GalaHotels wieder zurückbekommen. Es war sehr schwierig, sie zu kontaktieren und auch von Spanien aus konnte man nur Englisch mit ihnen sprechen (was für die meisten Spanier ja schon eine hohe Hürde darstellt). Ich erklärte ihnen, was passiert war, wurde hingehalten, aber da es sich um einen für uns hohen Betrag handelte, insistierte ich immer wieder. Schließlich sagte ich: "Ich werde Sie verklagen. Bitte sagen Sie mir, wie oft Sie noch von mir angerufen werden wollen und wie oft Sie mich noch hinhalten wollen, bevor ich zur Polizei gehen, denn ich werde auf jeden Fall Anzeige erstatten." Als das klar war, haben sie uns das Geld zurückgezahlt. Ich verstehe echt nicht, wieso so einer Firma nicht das Handwerk gelegt wird. Ach ja, das Geld von Kiwi für die Koffer haben wir auch zurückbekommen, darum hat sich dankenswerter Weise mein Sohn gekümmert.

Donnerstag, 23. August 2018

Der fünfte und der sechste und der siebte Tag in Kolumbien - Pereira

Sooo. Wo soll ich anfangen? So viele Eindrücke... Wir sind den ganzen Tag mit den Freunden zusammen und es wird gequatscht und herumspaziert und besichtigt und gefuttert, ich habe gar keine Zeit nachzudenken und die Erlebnisse zu sortieren. Heute waren wir auf einer Kaffeeplantage. Von der Stadt ohne Sehenswürdigkeiten aus ging es eineinhalb Stunden in die Berge, in die Anden, und was sahen wir dort gleich als erstes auf dem Parkplatz? Ein riesiges Wohnmobil aus Altötting. Ohne Scheiss. Ich begrüsste die Besitzer mit den Worten: "So abgelegen kann ein Ort gar nicht sein, dass man dort keine Deutschen trifft!" Hahaha. Es war ein nettes Rentnerehepaar auf Weltreise. Sie waren seit drei Jahren in Südamerika unterwegs. 
Auf der Plantage hatten wir eine Führung, die war recht lehrreich und unterhaltsam. Dann ging es in der Dunkelheit zurück nach Pereira. Ich kann jedem, der nicht gerne andere Menschen tot fährt, nur eindringlich davon abraten, hier Auto zu fahren. Bitte bedenkt, dass es hier schon um halbsieben dunkel ist. Auf stockfinsteren Landstrassen sind dunkel gekleidete Radfahrer ohne jede Beleuchtung unterwegs. Auch auf der Autobahn rasen sie gern mal  mitten auf der rechten Spur bergab, die Radler. Bergauf lassen sie sich dann von einem Lkw ziehen. Wir haben beobachtet, wie junge Leute (ohne Fahrrad) an Kreuzungen hinten auf Lastwagen gesprungen sind. Hammer, was man hier alles sieht. 
Auf einer Strasse in der Stadt, in Pereira, stand einer und schnüffelte Klebstoff aus einer Tüte. Von dieser Sucht hatte ich schon gehört, hatte aber den tatsächlichen Vorgang noch nie beobachtet. Überhaupt, was sich hier alles an Ampeln abspielt! Wir sahen einen jungen Mann, auf dessen Schultern ein junger Mann stand, auf dessen Schultern noch einer stand, und alle drei jonglierten! Alles mögliche wird einem an Ampeln verkauft. Venezolaner, deren Geld ja im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr wert ist, also gar nichts, bieten einem ihre Geldscheine an: "Geben Sie mir einfach irgendwas dafür." Man gibt ihnen ein paar Cents für Scheine, mit denen man bis vor Kurzem noch richtig was kaufen konnte. Ts. 
Was war heute noch alles? Ich habe endlich mal wieder mein Haar gewaschen, also nach vier Tagen. Hier im Haus gibt es nur kaltes fliessendes Wasser. Man denkt, ach, ja, in den Tropen, wo die Temperatur dreissig Grad beträgt, da kommt bestimmt auch das Wasser so warm aus der Leitung. Falsch gedacht. Es kommt genau so kalt aus der Leitung wie bei uns in Spanien. Zum Duschen geht es ja gerade noch. Husch, husch, da ist man wenigstens schnell fertig. Aber zum Haare waschen? A. hatte mir angeboten, mir Wasser warm zu machen, wie sie es auch für die fast neunzigjährige Oma tut, aber ich hatte abgelehnt, weil ich nicht als Weichei dastehen wollte. Aber dann hatte ich Angst, dass ich ohnmächtig werde, wenn ich so viel eiskaltes Wasser über meinen Kopf laufen lasse, oder dass das Shampoo unter diesen Bedingungen nicht richtig schäumt und das Haar fettig bleibt und die ganze Tortur umsonst ist, also bat ich sie heute früh doch um ein wenig warmes Wasser. Sie machte auf dem Herd zwei grosse Töpfe voll heiss und schüttete sie dann in eine Tonne, wo sie mit kaltem Wasser vermischt wurden. Mit einer kleinen Schüssel schöpfte ich das Wasser über mich. Das klappte ganz gut, mein Haar ist wieder sauber. Der Rest von mir war sowieso sehr sauber, da wir am Tag zuvor im Thermalbad von Santa Rosa gewesen waren. Die Termales sind ein Traum: Man sitzt in 40 Grad warmem Wasser und schaut einem 95 Meter hohen Wasserfall in mitten von sattgrünen Urwaldhügeln beim Fallen zu. Wenn man möchte, kann man sich zwischendurch auch unter diesem Wasserfall abkühlen. Pa-ra-die-sisch. Aber auch hier: etwas schwierig hinzukommen. Nach der Anreise von Pereira aus geht es noch drei Kilometer auf Waldwegen durch den Wald und dann muss man noch ein Stück laufen. Überraschenderweise sind trotzdem viele Besucher dort. Dieser Ort ist absolut empfehlenswert und eine richtige Sehenswürdigkeit. Wenn man so etwas in Deutschland hätte, das wäre eine Sensation!
Was muss ich Euch noch alles erzählen? Von wie wir die Schule besichtigt haben und wie es hier sonst noch so ist. Von unserem Besuch bei Yesica und ihrer Familie. Ihr kleines Mädchen ist das Patenkind von meinem Sohn und seiner Freundin. Und dann noch von der Innenstadt von Pereira und von wie wir im Kino waren. Wir haben uns den neuen "Misión Imposible" mit Tom Cruise angeschaut. Der ist tatsächlich sehr unterhaltsam. Fun Fact: Amerikanische Filme werden für Spanien und Lateinamerika einzeln synchronisiert, ebenso wie Serien, z.B. die Simpsons, die gibt es in spanischem und in lateinamerikanischem Spanisch. Wieder witzig: Yesicas Gatte arbeitet bei der Stadtverwaltung, das hatte man uns vorher erzählt. Zwecks Smalltalk fragten wir ihn, ob er beim "Ayuntamiento" arbeite, so heisst Stadtverwaltung auf Spanisch. Nein, antwortete er. Das überraschte uns. Er arbeite bei der "Alcaldía" fuhr er fort, dem Bürgermeisteramt. So nennen sie das hier.
"¿Qué más?" bedeutet in Spanien "Was noch?" Hier bedeutet es "Wie geht's?" Mein Gatte erzählte die Anekdote von einem kolumbianischen Professor, der in Spanien zu Besuch war und zu einem Kellner sagte "Regálame un whiskey". Darauf bekam er eine heftige Abfuhr. In Spanien bedeutet der Satz "Schenk mir einen Whiskey", in Kolumbien bedeutet er "Schenk mir einen Whiskey ein", hahaha. Das Problemchen ist hier, dass man ja nicht weiss, dass man nicht weiss; dass dem einen nicht bewusst ist, dass er etwas Unangemessenes sagt, und dass dem anderen nicht bewusst ist, dass der eine das eigentlich gar nicht sagen will. Hahaha, oder? Und da wir gerade beim Thema Kulturarbeit sind: Der Roman "María" scheint in Kolumbien eine ähnliche Bedeutung zu haben wie in Deutschland "Die Leiden des jungen Werther". Gebildete Leute haben ihn alle gelesen, er gehört in der Schule zur Pflichtlektüre. Der Inhalt gilt als wahr und autobiographisch. Mein Sohn schockte seine Arbeitskollegen in Cali, die ihm die Fahrt zur im anderen Blogeintrag beschriebenen Finca empfohlen hatten, damit, dass er ihnen erzählte, dass María mehr oder weniger frei erfunden sei, dass wir das im Internet herausgefunden hätten. Daraufhin begannen seine Kollegen, ebenfalls wild nach der Geschichte zu googeln. Das hat er mir heute erzählt. Schade, dass "María" auf Deutsch nicht in einer richtig guten Übersetzung vorliegt. 

Montag, 20. August 2018

Der vierte Tag in Kolumbien

So, weiter mit unserem vierten Tag in Kolumbien: Wir standen zeitig auf und liessen uns ein Taxi kommen, um zum Cristo Rey zu fahren. Das ist eine grosse Christus-Statue, die auf einem Berg ausserhalb der Stadt steht und von der aus man einen schönen, umfassenden Blick auf selbige hat. Leider war der Tag etwas diesig. Oben auf dem Berg standen natürlich wieder massenhaft Stände, wo Andenken wie kleine Lederwaren sowie Speisen verkauft wurden. Es gab unter vielem anderem appetitlich aussehende gegrillte Würste und Maiskolben mit riesigen Körnern. Einer der Führer dort oben hörte meinen Gatten und meinen Sohn spanisch sprechen und begrüsste sie mit den Worten: “Hola, tío, la hostía”, was sehr ordinär ist. Wenn die Kolumbianer die Spanier nachahmen, vergreifen sie sich völlig im Ton, unser Führer gestern auch. Es ist stimmt, dass die Spanier viel gewöhnlicher sind, aber doch nicht so! Und vor allen Dingen nicht Fremden gegenüber! Es ist, als würde ein Schweizer einem Deutschen “Hallo, Alter, Scheisse” sagen, weil er das für typisch deutsch hält. Ts.
Nach dem Besuch des Berges ging es rasch wieder zurück zum Hotel, wo uns unsere Freunde und die Schwiegereltern meines Sohnes abholen wollten. Unser Sohn hatte eigentlich mitfahren wollen, aber sein Arbeitgeber in Cali setzte zwei Besprechungen für die Zeit an, in der er eigentlich in Pereira sein wollte. Er hat sogar ein Flugticket von Pereira nach Cartagena, das jetzt verfallen wird, und er muss sich ein neues Ticket von Cali nach Cartagena kaufen. Naja, kommt vor.
A. und J. kamen also nach Cali, um uns abzuholen. Die Fahrt dauert gut dreieineinhalb Stunden. Vor der Abfahrt gingen wir noch in einem Restaurant essen, welches uns der Führer vom Vortag empfohlen hatte. Das Ambiente war modern, die Gerichte typisch, der Preis mit 10 Euro hoch, etwa doppelt so hoch wie angemessen. Dennoch war das Lokal voll und viele Leute warteten draussen auf einen Tisch.
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns von unserem Sohn und machten uns mit unseren Freunden auf den Weg. Von Cali nach Pereira fährt man auf einer guten Autobahn mit vielen baumbestandenen Abschnitten, auf denen man unter einem richtigen Blätterdach reist. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist aus unerfindlichen Gründen an vielen Stellen sehr niedrig, zum Beispiel 60. Ich würde Europäern nicht empfehlen, in Kolumbien ein Auto zu mieten, nicht um ihrer selbst willen, sondern den Einheimischen zuliebe. Man ist es einfach nicht gewöhnt, auf so viele Mopedfahrer von allen Seiten zu achten, und man würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn man ein Kind umfährt, das auf dem Mittelstreifen Drachen steigen lässt und dabei unvorsichtigerweise auf die Fahrbahn läuft.
An mehreren Stellen gab es Polizeikontrollen. Wir wurden einmal angehalten. Der Polizist gab J. die Hand, schaute in den Wagen und fragte, wo wir herkämen. J. sagte: “Aus Cali,” dann durften wir weiterfahren. J. erzählte uns, diese Kontrollen würden unter anderem der Überwachung der Venezolaner dienen, die aufgrund der wirtschaftlichen Katastrophe in ihrem eigenen Land zahlreich nach Kolumbien strömen, und die kolumbianische Regierung will wissen, wo sie sich aufhalten und was sie so treiben. In Cali haben wir zwei gesehen, die wie wohlhabende Bankangestellte aussahen. Sie stellten sich an einer roten Ampel mit einem Plakat vor die Autos. Auf dem Plakat stand: “Wir sind Venezolaner, helft uns! Wir haben nichts zu essen und keine Medikamente.” Ich weiss nicht, ob sie auf ihre Situation aufmerksam machen wollten oder ob sie in ihren Markenhosen und Polohemden betteln wollten. Durch ihr entschiedenes Auftreten und ihre aufrechte Körperhaltung unterschieden sie sich stark von den gewöhnlichen Bettlern hier. 
Unterwegs wollte A. an einem Aussichtspunkt anhalten. J. sagte: “Dort vorn ist er.” A. entgegnete: “Das kann nicht sein, dort sind doch gar keine Stände.” Hahaha. Am richtigen Aussichtspunkt waren dann natürlich auch wieder Stände.
Als wir in Pereira ankamen, war es schon dunkel. A. und J. leben in einem volkstümlichen Viertel. Mein Gatte, mein Sohn und J. hatten ausgemacht, dass wir nicht bei ihnen, sondern in einem Hotel in der Innenstadt übernachten würden. Sie hatten die Frauen aber nicht von ihrer Übereinkunft in Kenntnis gesetzt, sodass A. und ich vereinbarten, dass wir zwei Tage bei ihnen und zwei Tage in einem Hotel übernachten würden. Unsere jeweiligen Kinder bearbeiteten uns ebenfalls, wir sollten doch in der Innenstadt übernachten, wobei ich gar nicht weiss, ob es in dieser sehenswürdigkeitenfreien Stadt überhaupt eine Innenstadt gibt. Es gab also eine ziemliche Verwirrung, denn einerseits wollten wir A. und J. nicht dadurch beleidigen, dass wir nicht bei ihnen übernachten, immerhin sind wir ja gute Freunde, andererseits wollten wir auch keine Last sein. Unsere Kinder trugen zur Verwirrung bei, indem sie behaupteten, es sei zu laut, weil die ganze Nacht irgendwo Musik spielte, und es würde viel zu früh hell im Zimmer. Lange Rede, kurzer Sinn: wir sind bei A. und J. und liegen im Bett ihres jüngsten Sohnes, der in einem anderen Raum in einem Stockbett schläft. Ob es früh hell geworden ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich mal wieder um vier aufgewacht bin - da war es noch dunkel - und mich, wie ihr seht, mit dem Computer beschäftige. Ausserdem hängt vor dem Fenster ein Vorhang. Ts. Die Musik spielte den ganzen Abend sehr laut, weil auf der anderen Strassenseite, in vier oder fünf Meter Entfernung, ein Geburtstag gefeiert wurde. Und wenn die Musik zwischen zwei Liedern verstummte, hörte man, dass auch noch aus einem anderen Haus Musik drang. Was heisst, die Musik drang aus dem Haus, beim Geburtstag gegenüber standen die Boxen vor der Tür auf der Strasse. Da wir müde waren, schliefen wir trotzdem sofort ein. Als ich aufwachte, war völlige Ruhe, nicht einmal Autoverkehr war zu hören, nur die Uhr hier im Zimmer tickt ziemlich laut und ein paarmal krähte ein Hahn. Jetzt hört man draussen Mopeds fahren.
Im Haus wohnen A. und J. und ihr jüngster Sohn sowie die Oma, die wir schon in Spanien kennengelernt haben. Die Oma ist eine sehr, sehr zierliche Person, die zahllose Nachkommen hat. Das Gerücht, dass sie bereits Ururgrossmutter ist, ist jedoch falsch. Sie ist weit über achtzig. Sie war traurig, dass mein Sohn nicht dabei war, denn sie hat ihn ins Herz geschlossen. Wir brachten die Geschenke mit, die er für sie geplant hatte.