(Es wurde beanstandet, dass meine Meinung zur Arbeitsmarktreform und dem dazugehörigen Generalstreik in meinem vorherigen Post nicht klar wird. Das mag daran liegen, dass ich keine bestimmte Meinung dazu habe. Ein Beispiel: Künftig können Mitarbeiter, die innerhalb von zwei Monaten neun Tage krank sind, entlassen werden. Das finde ich gut, weil das vielleicht die einzige Möglichkeit ist, unfähige und unwillige Leute mit diesen für Spanien typischen, praktisch unkündbaren Verträgen loszuwerden. Andererseits finde ich es schlecht, denn auch ansonsten gesunde, fleißige und willige Menschen können mal innerhalb von zwei Monaten neun Tage krank sein und dann einem Personalabbau zum Opfer fallen, während der unkündbare Unfähige weiter an seinem Sessel klebt, weil er nicht krank geworden ist. Also, ich wage nicht, mich da meinungsmäßig irgendwie festzulegen.)
Was war gestern los? Wir fuhren so gegen 11 Uhr los, um uns mal umzuschauen und dies dann anschließend in meinem Blog festzuhalten. In unserem Städtchen war normalidad absoluta, alle Geschäfte waren offen, auf den Straßen waren genauso viele Leute wie immer. Dann fuhren wir weiter zu dem Einkaufszentrum, wo sich Leroy Merlin (Baumarkt), Mediamarkt usw. befinden. Alle Geschäfte waren offen, aber es waren sehr wenige Kunden da. Dann fuhren wir weiter durch ein Industriegebiet. Hier waren fast alle Betriebe offen, der TÜV funktionierte normal. Bei den wenigen geschlossenen Hallen, an denen nicht "Se vende", "Zu verkaufen", oder "Se alquila", "Zu vermieten", steht, ist es auch nicht so einfach, auf einen Blick festzustellen, ob die auch schon pleite sind oder streiken. Streikplakate oder ähnliches waren nirgendwo. Dann fuhren wir in die Stadt. Hier erwartete uns die erste Überraschung: an der Uni normalidad absoluta, die Studenten beteiligten sich überhaupt nicht am Streik. In der Innenstadt waren bis auf einen Thai-Massagesalon und ein Restaurant alle Läden offen ... naja, Läden offen ... hmhmhm ... hier haben soviele Geschäfte pleite gemacht und die Rollläden heruntergelassen ... es ist eine Tragödie. Wenn alteingesessene Geschäfte durch neue ersetzt werden, handelt es sich meist um Handyläden oder -erstaunlicherweise- Dessousgeschäfte. An den offenen! Geschäftstüren klebten Aufkleber mit dem Text "Cerrado por huelga", "Wegen Streik geschlossen". Diese Babberle waren anscheinend recht schwer zu entfernen, man sah nämlich viele halb abgekratzte. In der Innenstadt liefen auch viele Gewerkschafter herum. Wir sahen auch eine Demonstration der CGT, bei der auffallend viele Perroflautas dabei waren. Was ist ein Perroflauta (deutsch: Hundflöte)? Ich beschreibe Euch einen von unten bis oben: Er trägt schwarze Springerstiefel, seine langen, dünnen Beine stecken in eng anliegenden Hosen/Leggings, Farbe bevorzugt schwarz mit lila, der T-Shirt-Aufdruck hat was mit Hardrock zu tun, seine taillenlange schwarze Lederjacke ist völlig abgeschabt, sein halber Kopf ist rasiert, auf der anderen Hälfte wachsen lange Rastalocken. Die ganze Gestalt ist etwas schmutzig. Seine Gefährtin sieht ähnlich aus, aber ihre Beine sind dick und stecken in kaputten, schwarzen Nylonstrümpfen. Nur in Extremfällen haben Perroflautas tatsächlich Hunde dabei und spielen Flöte. So, wieder was gelernt (die Bezeichnung ist etwas abfällig, ich empfehle sie nur für den passiven Sprachgebrauch, also verstehen, aber nicht selbst benutzen). Die meisten Gewerkschafter waren jedoch Damen und Herren mittleren Alters.
Unserer Lokalzeitung habe ich entnommen, dass vor einem anderen Industriegebiet, das weniger Zufahrtsmöglichkeiten hat als das, das wir besucht haben, morgens Autoreifen verbrannt wurden, um die Leute daran zu hindern, ihren Arbeitsplatz aufzusuchen. Dass im öffentlichen Personennahverkehr soviel gestreikt wird, liegt nicht daran, dass Busfahrer besonders um ihre Rechte besorgt sind, sondern daran, dass Gewerkschafter aus anderen Sektoren morgens ins Busdepot gehen und die Leute am Losfahren hindern. Dies weiß ich nicht vom Hörensagen, sondern von beteiligten Personen.
Eine Freundin, die einen Arzttermin hatte, war am Tag zuvor vom Gesundheitszentrum angerufen worden: "Falls die Türe zu ist und die Rollläden heruntergelassen sind, dann klopfen Sie, dann lassen wir Sie rein, es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme wegen der Streikposten."
Summa summarum: In unserer Gegend wurde fast nur dort gestreikt, wo die Leute von den Gewerkschaftern dazu gezwungen wurden. An Streiktagen umkämpft ist immer das Kaufhaus El Corte Inglés. Gestern ist es den Streikposten gelungen, den hiesigen Corte Inglés dazu zu zwingen, 15 Minuten lang zu schließen. Das lässt Zweifel an der Streikbereitschaft der Mitarbeiter aufkommen. An den Demonstrationen nahmen jedoch viel mehr Menschen teil, als ich erwartet hätte.
Den Nachrichten habe ich entnommen, dass der Streik im Baskenland und in Katalonien ein Erfolg war, dass viele Menschen freiwillig streikten und die Demonstrationen sehr groß waren.
Eine eigene Meinung zum Thema habe ich nicht. Ich finde es genauso beschissen, wenn die Gewerkschafter die Leute am Arbeiten hindern wie wenn die Chefs ihre Mitarbeiter zwingen, zu erscheinen.