In Spanien wird das Konzept „Gemeinsamer Schulbesuch bis zum sechzehnten Lebensjahr“ konsequent umgesetzt. Meine Kinder sind in Deutschland (Bayern), Spanien und den USA in die Schule gegangen, ich hatte also Gelegenheit, verschiedene Schulsysteme zu erleben und glaube deshalb, mir ein gewisses Urteil erlauben zu dürfen. Das spanische System ist das Schlechteste. In den USA gehen Kinder mit unterschiedlichem Potenzial zwar gemeinsam zur Schule, sie haben aber die Möglichkeit, je nach Neigung und Leistungsfähigkeit unterschiedliche Kurse zu besuchen. In Spanien ist diese Möglichkeit nicht gegeben.
Die natürliche Neigung der Kinder ist jedoch, als Störenfried mit den anderen Störenfrieden abzuhängen und als Streber mit den Strebern (vereinfacht ausgedrückt). Kinder, denen das Lernen schwer fällt, wollen nicht mit Überfliegern in einer Klasse sein und frustriert mitanschauen, wie der Banknachbar nach einem raschen Blick ins Buch verstanden hat, worum es geht, während sie selbst für die gleiche Übung Stunden brauchen.
„Gleich und gleich gesellt sich gern“, sagt der Volksmund und ich kann aus eigener Anschauung Folgendes berichten: Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr das war (am spanischen Schulwesen wird ununterbrochen herumgedoktert, alles ist in ständigem Fluss, was heute gilt, muss morgen schon nicht mehr gelten), als für die Klasse meines Sohnes die Möglichkeit bestand, zwischen Mathe-Werkstatt und Französisch zu wählen. Ich glaube, es war in der siebten Klasse. Da mein Sohn gerne Mathe machte, wollte er die Werkstatt wählen. Zusätzlichen, interessanten Unterricht, in dem die, dies nicht interessiert, einfach mal nicht dabei sind. Falsch gedacht. In die Mathe-Werkstatt gingen die, die in Mathe schlecht waren. Die Mathe-Fans gingen in Französisch. Gleichzeitig wurde eine Klasse mit katholischem Religionsunterricht gebildet und eine Klasse ohne (die Schüler hatten in dieser Stunde frei). Eine tolle Chance, die die Kinder sofort erkannten und wahrnahmen, bot sich: Französisch und Reli = Klasse mit guten, fleißigen Schülern. Die Lehrer lobten diese Klasse, die sich gebildet hatte, als die Schüler ein winziges Fenster hatten, um sich zu sortieren. Dieses Fenster wurde natürlich mittlerweile wieder geschlossen.
Es ist einfach entsetzlich, wenn man alle bis zum sechzehnten Lebensjahr zusammensperrt und ihnen Unterricht knapp unter Gymnasialniveau erteilt: die, die nicht mitkommen, sind im besten Fall still und frustriert, im schlimmsten Fall stören sie. Die, denen alles zufliegt, langweilen sich, weil der Lehrer soviel Zeit damit verbringen muss, Ruhe in die Klasse zu bringen. Die, denen der Unterricht in etwa gerecht würde, kriegen nicht viel mit, weil die Störer stören und die Lehrer meckern. Als mein Sohn in der 6. Klasse war, entschuldigte sich sein Lehrer bei mir: Er könne leider nichts dafür, aber er müsse mehr als die Hälfte der Unterrichtszeit dafür aufwenden, für Ruhe zu sorgen. Ungelogen. Diesen Lehrer hatte er drei Jahre lang (war kein besonders schlechter Lehrer, Durchschnitt, würde ich sagen). Mein Sohn saß jahrelang täglich ein paar Stunden da und wartete, bis der Unterricht vorüber war. Was hätte man in dieser Zeit alles lernen können.
In keinem anderen Bereich käme man auf den Gedanken, die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten zusammenzusperren. Man stelle sich vor, hundert Kinder müssten in vier Fußballmannschaften eingeteilt werden: Fünf sind Leistungssportler, fünf gehen an Krücken, zehn haben keinen Bock auf Fußball und würden lieber Handball spielen, fünf wünschen ihre Mannschaft zu sabotieren, zehn sind fleißig und talentiert, zehn sind fleißig und unbegabt, zehn sind schlecht und faul, der Rest ist Mittelmaß.
Eine Kommission wird einberufen, die darüber entscheiden soll, wie man am besten Mannschaften bildet, in denen die Spieler möglichst glücklich sind und möglichst optimal gefördert und auf die Welt des Fußballs vorbereitet werden. Herausragende Experten werden konsultiert, die Geschichte des Fußballs wird studiert, Franz Beckenbauer und Pep Guardiola werden an die Spitze der Kommission berufen. Nach Jahren das Ergebnis: In Mannschaft A spielen die Katholischen, in Mannschaft B die Evangelischen, in Mannschaft C die, die sich dem Islam zugeneigt fühlen und in Mannschaft D die, die mit Religion nichts am Hut haben. Ein Aufschrei: Gettobildung!
Die Kommission tritt erneut zusammen. Jahre später ein neues Ergebnis:
In Mannschaft A spielen diejenigen, deren Namen mit einem Buchstaben von A bis F beginnt, in Mannschaft B spielen die von G bis M und so weiter.
Meiner Meinung nach darf man sich das hiesige Schulwesen in etwa so vorstellen (mit dem Unterschied, dass in der Kommission keine wirklichen Experten sitzen würden, sondern Gewerkschafter und die Verwandten von irgendwem).
Harte Worte, werdet Ihr sagen, aber mir fallen momentan keine härteren ein.
Ja, me he despachado a gusto.
Selbstverständlich würde ich dies alles nicht laut und persönlich sagen. Ich verstecke mich hinter der Anonymität des Blogs. In Spanien reden alle vom „Fracaso escolar“, dem Scheitern der Schule und der Schüler, aber wenn man sagen würde, dass man bei der Bildung der Klassen oder beim Verteilen auf Schulen die Leistungsfähigkeit der Schüler berücksichtigen sollte, würde man gleich als „Facha“ (sprich: Fattscha) gelten, als Faschist, als extrem Rechter, der die naturgegebene Gleichheit aller Menschen in Abrede stellt. Und man gilt doch lieber als „Progre“ (sprich: Progreh).
Vor einer Weile kam von Regierungsseite der Vorschlag, die allgemeine Schulpflicht bis auf das achtzehnte Lebensjahr auszudehnen. Es folgte ein Aufschrei der Lehrer, die sagten, sie könnten angesichts der vielen Untersechzehnjährigen, die in der Schule scheiterten, sowieso kaum unterrichten und das Letzte, was das System bräuchte, wären Sechzehn- bis Achtzehnjährige, die gegen ihren Willen in der Schule festgehalten würden. Daraufhin verschwand der Plan gleich wieder in der Versenkung.