Sonntag, 15. März 2015

Ich erzähle Euch noch was zum selben und zu einem verwandten Thema

Ich bin damals nämlich doch zu einer Erkenntnis gekommen. Das, was ich heute schreibe, wollte ich schon x-mal schreiben und habe es dann immer doch nicht gemacht, obwohl es für mich wichtig ist. Ich habe aus dem Börsenkram nämlich doch etwas gelernt, das meine Denkweise zum Positiven verändert hat.
Also, ich erzähle: Beim Rückblick auf Käufe und Verkäufe von Aktien (und natürlich auch beim Blick auf alle sonstigen Entscheidungen im Leben, beim Aktiengeschäft wird es halt besonders deutlich) sieht man sich - also ich zumindest sehe mich - mit drei Konzepten konfrontiert: "Warum habe ich damals bloß...?", "ich hätte damals fast..." und "der Grund, warum ich damals diese oder jene Aktie kaufte/verkaufte/Entscheidung traf ist, dass....". Und kaum hatte ich mich zehn oder zwanzig Jahre als Hausfrau und Kleinsparer mit diesem Thema beschäftigt, schon fiel mir Folgendes auf: Ich erzählte mir zum Beispiel: "Ich habe diese Aktie damals verkauft, weil sie auf ihrem Höchststand war." Scheint richtig, ist aber FALSCH, denn ich konnte doch gar nicht wissen, dass dies der Höchststand war, dass nicht noch ein höherer Höchststand kommen würde. Versteht Ihr, was ich meine? Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich begründe, verfüge ich über viel mehr Information als zu dem Zeitpunkt, zu dem ich die Entscheidung treffe.
Manchmal leuchtet die Unwahrheit einer Begründung auch dadurch auf, dass die zeitliche Abfolge nicht stimmt: "Ich habe diese oder jene Entscheidung getroffen, weil xy geschehen war." In Wirklichkeit ist xy aber später geschehen und das flunkernde Ego weigert sich, dies zur Kenntnis zu nehmen. (Ich spreche hier nicht davon, dass wir andere Leute absichtlich belügen, ich spreche davon, dass man sich selbst unwillentlich und unwissentlich Mist erzählt.)
Um diese Situation abzustellen, begann ich, mir für jede Börsenentscheidung den Grund aufzuschreiben, den tatsächlichen Grund im Moment der Entscheidung. Und dadurch ist Schluss mit "Warum habe ich damals bloß...?" und nachgeschobenen Begründungen. Warum habe ich damals bloß diese Aktie gekauft? a)...., b)...., c).... deshalb. Ende Gelände. Und das kann man auch auf alle anderen Felder anwenden, wo man Entscheidungen zu treffen hat.
Den zweiten Quälgeist "Ich hätte damals fast..." habe ich auf dieselbe Weise erledigt. Wenn ich etwas "fast" gemacht hätte, dann habe ich mir auch auf geschrieben, warum ich es nicht gemacht habe. In jenen Zeiten der Börsenturbulenzen konnte man feststellen, dass es ja nicht so war, dass einem nur Gewinne entgangen sind, man hat ja auch Dinge nicht gemacht, die negative Konsequenzen gehabt hätten. Also, um im Hirn Ordnung zu machen: Alles, was nicht als "fast gemacht" notiert ist, existiert nicht. Es gibt kein "ich hätte damals fast...", außer es ist schriftlich erfasst und dann steht ja dabei, warum es nicht geschehen ist. "Ich hätte damals fast..." hat sich aber bald von selbst erledigt, denn das ganze Konzept verschwand aus meiner Gedankenwelt. Ich bin früher auch immer strammgestanden, wenn Leute "Ich hätte damals fast..."-Storys erzählten und wollten, dass wir sie ob ihrer Voraussicht bewunderten, aber heute ist mir klar, dass "Ich hätte damals fast..." im Ergebnis gleich ist wie "Ich habe nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet". Und zum Thema Gründe, warum man etwas nicht getan hat: "Ich war zu faul", "ich hatte Schiss" und so weiter sind meiner Meinung nach absolut legitime Gründe, die man sich selbst gegenüber keineswegs verbrämen muss.
Ich hatte mir damals für meine Aufzeichnungen ein ganz einfaches Schulheft gekauft. Man hat ja keine Verpflichtung, irgendwas reinzuschreiben oder "ich muss jetzt in Zukunft regelmäßig...". Überhaupt nicht. Man schreibt zum Beispiel rein: "Ich habe die Stelle bei Firma Müller nicht angenommen, weil ich glaube, dass diese kleine Klitsche bald pleite geht." Dann schreibt man nie mehr was rein, wenn man nicht das Bedürfnis dazu hat. Wenn die Firma Müller wenige Jahre später ein Weltkonzern, ein Global Player ist, dann macht man sein Heft auf, liest den einzigen Eintrag und weiß genau, warum man dort nicht angefangen hat und kann sich nicht mit "ich wollte nicht in so einem riesigen Konzern arbeiten" selbst belügen. 
Leute, ich glaube, unsere Unkenntnis unserer eigenen früheren Gedankengänge kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Ich glaube, ich hätte zu keiner einzigen Börsenentscheidung heute den Grund genannt, den ich damals eingetragen habe, nicht aus bösem Willen, sondern weil man alles, was seitdem geschehen ist und was man seitdem erfahren hat, unmöglich ausblenden kann.  
Es kommt in den nächsten Tagen noch ein Blogeintrag mit meinen konkreten Notizen zu einem Aktienkauf/-verkauf aus dem Jahr 2007, wie ich meine Handlung damals begründete und was tatsächlich geschah. Ziemlich interessant, glaube ich.
Apropos so erlebt man Geschichte, während sie stattfindet: Sehr berühmt ist Kafkas Tagebucheintrag am Tag nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges: "Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. Nachmittags Schwimmschule." Wahnsinn, ne?
So, das wollte ich schon lange mal geschrieben haben. Tschüssli, liebe Freunde.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen