Ja, Leute, der Chinese ist weg. An meine alten Blogeinträge, in denen ich Euch davon erzählte, dass der Chinese kam, werdet Ihr Euch nicht mehr erinnern, und jetzt ist er weg. Ich fasse deshalb kurz zusammen: In unserer etwas abgelegenen Siedlung in Spanien gab es sei eh und je ein Lebensmittelgeschäft, das früher sehr gut lief und seine Besitzerin reich machte. Dann wurde unsere etwas abgelegene Siedlung systematisch von Supermärkten umstellt. Es begann mit einem Leclerc, es folgte ein Día, dann ein Aldi, ein Mercadona, und schließlich ein guter Lidl mit angeschlossenem schönem Fischladen. Die erfolgreiche Gründerin des Supermarktes warf das Handtuch schon kurz nachdem der Leclerc aufgemacht hatte. Anschließend hatte der Laden einen Pächter nach dem anderen. Wenig überraschend machten alle pleite.
Nun gibt es in unserer Siedlung, abgesehen von den Leuten, denen der Supermarkt wurscht ist, zwei Fraktionen: die einen wollen, dass das Lädchen bleibt, weil es so praktisch ist und in Gehweite. Die andere Fraktion hasst die Vermieterin des Lädchens, die ihre Pächter regelmäßig abzockt, und wünscht deshalb ein rasches Scheitern der hoffnungsvollen Geschäftsleute, damit der Laden leer steht und der Besitzerin keine Einnahmen generiert.
Vor zwei Jahren ungefähr kam nun der Chinese, der sein Geschäft in chinesischer Weise führte: an jedem Tag praktisch rund um die Uhr geöffnet. Nee, ich übertreibe ein wenig. Er hatte, glaube ich, von morgens um zehn bis abends um elf geöffnet, an allen Tagen, nur sonntags nachmittags hatte er, glaube ich, geschlossen.
Sein Sortiment hatte natürlich wenig mit dem Sortiment der alten Besitzerin gemeinsam, die frischen Fisch, bestes Fleisch und herrliche Früchte anbot, weil sie genug Kunden hatte, die ihr die Waren jeden Tag abnahmen.
Der Chinese hatte keinen frischen Fisch. Das einzige Fleisch, das er in der Auslage liegen hatte, war Hähnchen, das er vorher bei Lidl geholt hatte. Der geringe Umsatz ermöglichte es auch nicht, reichlich schönes Obst und Gemüse zu bevorraten.
Ich hatte mir echt und ernsthaft vorgenommen, gar nicht erst anzufangen beim ihm einzukaufen, weil ich fürchtete, dass er nett war und dass es mir dann leid tun würde, wenn er, wie vollkommen absehbar, pleite machen würde. Ich ging dann aber doch hoch und er erwies sich als sehr nett und hatte eine sehr nette Familie. Ich war diejenige, die ihm verriet, dass vor ihm schon x andere Leute mit dem Lädchen gescheitert waren, das hatte ihm die Vermieterin nämlich nicht erzählt und sonst auch keiner. Ich war diejenige, die ihn darauf hinwies, dass sein Scheitern unausweichlich war.
Früher hatte man hoch gehen können, wenn man nicht wusste, was man kochen sollte. Man schaute, was es Leckeres gab und richtete den Speiseplan danach. Zum Chinesen ging ich nur wenn ich frisches Hähnchen für meinen Arroz con Pollo wollte. Dann konnte man sich auf das frische Hähnchen auch nicht mehr verlassen. "Ich habe tiefgefrorene Hamburger," sagte er mir einmal verlegen, aber tiefgefrorene Hamburger sind ein Produkt, das mir nicht in die Küche kommt (Nee, auch nicht im Notfall. So einen Notfall, in dem man tiefgekühlte Hamburger benötigt, gibt es in meiner Welt nicht.) Darauf, dass das Gemüse immer frisch war, konnte man sich auch nicht verlassen, und darauf, dass er einen Krautkopf hatte, wenn man einen wollte, auch nicht.
Ich schämte mich in Grund und Boden, wenn ich in den Laden ging und nichts von dem, was ich wollte, war verfügbar (z.B. eine rote Paprikaschote und eine Zitrone). Also hörte ich auf, bei ihm zu kaufen.
Und dann war er vor drei Wochen von einem Tag auf den anderen verschwunden, der Laden zu. Er hatte den letzten Kunden eine rührselige Geschichte erzählt und seiner Vermieterin, die am nächsten Tag noch ein paar der verderblichen Lebensmittel verkaufte, versprochen, er würde bald wiederkommen. Auf rührselige Geschichten, die mit der Familie zu tun haben, fahren die Spanier total ab. Da wird echt alles geglaubt. Da hat unser Chinese die spanische Mentalität völlig korrekt eingeschätzt.
"Ich kann heute nicht zur Arbeit kommen. Meine Großtante hat leichtes Fieber und ich muss sie zum Arzt begleiten," ist in Spanien Standard, insbesondere unter Beamten und auf dem Land. Alles andere würde als Grausamkeit gegen einen älteren Menschen empfunden. Das Leben und das letzte Hemd für die Familie zu opfern, das ist das Mindeste, was erwartet wird.
Und da hat unser in Rede stehender Chinese also so eine Geschichte erzählt. Und sie wurde von jedem, mit dem ich gesprochen habe, geglaubt. Ich habe mit etlichen/vielen Leuten gesprochen und ich habe das Gefühl, alle haben ihm die Geschichte geglaubt. Aber bei mir kam meine deutsche Mentalität durch, die deutsche Härte, die in Spanien gar nicht gut ankommt. Ich habe dem Chinesen die Geschichte nicht abgenommen. Ein Chinese schaltet seinen Verstand in wirtschaftlichen Dingen nicht völlig ab, da steht er dem Deutschen näher als dem Spanier, glaube ich zumindest. Der Chinese (Ist Euch übrigens schon mal aufgefallen, wieviel Ausländer investieren müssen, an Zeit, an Freundschaft, bevor sie nicht mehr der Chinese, der Türke oder die Deutsche sind? Bevor sie einen Namen bekommen und ihre Herkunft zweitrangig wird??? Der Chinese hatte einen Namen.), der Chinese also, dessen Namen ich hier nicht herschreiben möchte, weil ich denke, irgendwann mal findet jemand, der mich hier kennt und der deutschen Sprache mächtig ist, zufällig meinen Blog und dann möchte ich nicht wie ein völliger Depp dastehen -, der Chinese also, muss völlig ruiniert sein. Die Miete, die er für den schrottigen Laden zahlte, war abartig hoch. Dazu kommen noch sonstige Kosten und Sozialabgaben ... Ich hatte seiner Vermieterin einmal, als ich sie beim Spazierengehen traf, gesagt, dass die Miete unmöglich hoch sei und dass ich mir nicht erklären könne, wovon ihr Mieter lebt. "Er kann die Miete bezahlen, also ist sie nicht zu hoch," antwortete sie mir. "Und außerdem können chinesische Familien von 300 Euro im Monat leben," sagte sie mir. Leute, ich hätte ihr irgendwie Kontra geben müssen, den Chinesen verteidigen müssen, aber ich bin total auf den Mund gefallen. Mir fällt da keine Antwort ein. Ich sage dann feige: "Naja, so wird's wohl sein."
Und jetzt ist er weg, der Chinese. Sein Lieferwagen steht noch vorm Laden.
Eine Freundin von mir war bei der Vermieterin, um die Schulden, die sie im Laden hatte, zu begleichen. Es ist nämlich so, dass in unserer Siedlung viele Leute wohnen, die Haushälterinnen haben und die Haushälterinnen gehen dann einkaufen, bezahlen aber nicht, und die Herrinnen gehen von Zeit zu Zeit, wenn ihnen der Sinn danach steht, in den Laden und bezahlen. Meine Freundin hat erzählt, sie hätte bei der Vermieterin einen ganzen Packen unbezahlter Schuldscheine gesehen. Die Vermieterin hat ihr gesagt, sie wüsste nicht, was sie machen sollte, wenn bald die Stromrechnung käme, die wäre nämlich sehr hoch und wenn sie sie nicht bezahlen würde, würde der Strom für die Kühlvorrichtungen abgestellt. Sie glaubt die Geschichte des Chinesen und seiner Rückkehr. Ich bin echt die Einzige, die glaubt, dass sich dieser Mann und seine Familie nicht mehr blicken lassen werden. Wir werden sehen.
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