Mittwoch, 29. August 2018

Tage zehn und elf - immer noch in Cartagena de Indias - ah, our lonely planet

Tag zehn: Morgens versuchten wir, einen Ausflug zur Insel Barú einschliesslich Schnorcheln zu machen, wir waren leider zu spät, deshalb haben wir den Ausflug heute gemacht. Mein Gatte war bei der Delphin-Show, während es mir gar nicht gut ging, aber dazu später mehr. 
Also, was gestern war: Morgens gingen wir an den Strand (statt Ausflug). Wenn ich heute ersoffen wäre, hätte sich mein Leben dadurch, dass wir gestern das Schiff verpasst haben, um einen Tag verlängert. Think about it.
Als wir vom Strand genug hatten, gingen wir ins Hotel. Während wir uns duschten, ging ein Gewitter mit Starkregen nieder. Wir assen im Hotelkomplex, typisch kolumbianisch, Reis, gebratene Banane, Schwedensalat und Fleisch oder Fisch, das ist hier das übliche. Nach dem Regen machten wir einen Spaziergang durch das Millionärsviertel. Die Hochhäuser sind alle weiss und ordentlich, uniformierte Dienstmädchen führen Yorkshireterrier spazieren. Auf den Strassen stand das Wasser teilweise dreissig Zentimeter hoch. Den Abend verbrachten wir auf der Sunset-Terrasse des Hotels im Infinity-Pool. Ja. Die Sonne geht so um halb sieben unter, aber es ist immer zu diesig für einen erstklassigen Sonnenuntergang. Man kann in der Dunkelheit im Pool Richtung beleuchtete Altstadt schwimmen, das ist ziemlich... geil, oder so.
Und dann kam der heutige Tag. Ich möchte nicht noch mehr schlechtes Karma auf mich ziehen, ich bin echt ein bisschen ängstlich geworden. Aber der Reihe nach. Wir hatten schon gestern den Ausflug zu dieser traumhaften Insel Barú gebucht, die in den Reiseführern top gelistet ist. Um acht Uhr fünfzehn holte uns ein Bus/ein klappriger Bus ab und wir fuhren zu dem Hafen, wo die Ausflugsboote ablegen. Dort mussten wir erst einmal ewig in der Sonne rumstehen, aber so hatten wir Gelegenheit, Mitreisende kennenzulernen, nämlich ein nettes, junges, argentinisches Ehepaar. Wir warteten und warteten, dann wurden wir von den Argentiniern getrennt, weil wir verschiedenfarbige Armbändchen hatten.
Wir bestiegen unser Schiff. Wir sassen ungefähr eine halbe Stunde im schaukelnden Boot in der prallen Tropensonne und warteten, bis alle fünfzig Plätze besetzt waren. Dann ging es los. Das Boot fuhr am Flottenstützpunkt und an den Industriehafenanlagen vorbei aufs offene Meer. Das war recht interessant. Diese riesigen Containerschiffe! Der helle Wahnsinn.
So, weiter ging's. Ich sass am Bootsrand, Steuerbord oder Backbord oder irgendsowas. Neben mir sass ein steinalter Peruaner, der mit seiner Gattin und seiner Tochter unterwegs war. Ich schätzte ihn auf neunzig oder fast neunzig. Er war in diesem Alter, in dem die Haut auf der Nase schon dünn wird und spannt, auf seiner peruanischen Adlernase. Der fährt bestimmt nicht zum Schnorcheln, dachte ich. Doch, er fuhr zum Schnorcheln. Mein Gatte stieg eine Haltestelle früher aus, auf einer kleinen Insel, wo es ein Delphinarium mit Delphinshow etc. gab. Mein Sohn und ich fuhren weiter zum Schnorcheln, worauf ich mich sehr gefreut hatte. Ich hatte sogar meinen Schnorchel und die Taucherbrille aus Spanien mitgebracht. Das Boot hielt schliesslich mitten im Ozean, in geringer Entfernung von einer Insel. Es waren noch mehr Schnorchelgruppen unterwegs. 
"Gute Schwimmer springen zuerst rein," sagte der Führer. 
"Wie kommt man denn wieder raus?" fragte ich, denn ich sah keine Leiter am Boot. 
"Da gibt es eine Plattform," antwortete er. 
Da ich mich zu den guten Schwimmern zähle, sprang ich als eine der ersten hinein. Ich landete im Wasser und mir war schlecht. Es ist nicht so, dass mir schlecht wurde, mir war sofort schlecht. Einmal hoch mit den Wellen und einmal runter und ich war verzweifelt. Der Führer hatte empfohlen eine Rettungsweste anzuziehen, aber ich hatte aus oben genanntem Grund darauf verzichtet. Die Wellen waren hoch, mir war zum Kotzen. Ich rief nach einer Rettungsweste, die im Wasser anzuziehen nicht gerade einfach war. Mein Sohn war in meiner Nähe, ich setzte ihn von meinem traurigen Zustand in Kenntnis. Wir riefen dem Kapitän zu, er solle bitte in meiner Tasche die Reisekaugummis suchen, in meiner Reisetasche, in der sich natürlich auch meine Unterwäsche befand, und mir einen zuwerfen. Meinem Sohn gelang es, ihm den Kaugummi aus der Hand zu nehmen. Ich steckte ihn rasch in den Mund. Nicht umsonst steht auf der Packung, dass man ihn eine halbe Stunde vor Reiseantritt kauen soll. Die Wellen hoben und senkten mich. Eigentlich sollten am Boden Korallen sein, da waren aber keine. Ich weiss allerdings nicht, wie genau Korallen definiert sind, vielleicht waren die braunen Steine am Boden ja Korallen. Wenn man sich auf grosse Steine stellte, hatte man Boden unter den Füssen, aber aufgrund des starken Wellengangs konnte man sich nicht halten. An einer Stelle klemmte ich meinen Fuss zwischen zwei Steine, um stehenbleiben zu können, aber die Wellen hoben und senkten mich weiter und mir war üüübel. Ausserdem bekam ich Angst, meinen Fuss nicht mehr herauszubringen. 
Das Schnorcheln war auch für Nichtschwimmer und Kinder ab fünf empfohlen worden. Es ist ein Wunder, dass wir alle heil wieder nach Hause kamen. Die Nichtschwimmer hielten sich an Rettungsreifen fest, die von den Führern hin- und hergezogen wurden, wir waren nicht die einzige Schnorchelgruppe. In meiner Verzweiflung hielt ich mich am Rettungsreifen von zwei Mädchen fest und entschuldigte mich bei ihnen. Unsere Gruppe hatte sich mittlerweile entfernt, ich befand mich mitten in einer anderen Gruppe. Ihr Führer war ein kleiner, dünner Schwarzer, der fest auf einem Stein zu stehen schien. Ich hielt mich an ihm fest, unter heftigen Entschuldigungen, und suchte auf dem Meer nach meiner Gruppe. Mein Sohn winkte und rief, ob er kommen sollte. Er hatte mich schon vermisst. Ich wollte ihn nicht belästigen und ihm den Ausflug nicht vermiesen und schrie nein, mich am kleinen, dünnen Schwarzen festklammernd. Er kam trotzdem mich holen und gemeinsam schwammen wir Richtung Boot, das sich gerade anschickte, den Platz zu wechseln. Mein Sohn schrie, jemand pfiff schrill, da pfiff ich auch, denn ich wollte nicht, dass das Schiff weiter weg fährt und wir ihm hinterher schwimmen müssen. Der Rest der Gruppe war auch schon fast beim Schiff. Niemand bat darum, ein bisschen länger schnorcheln zu dürfen. 
Da türmte sich also nun die Schiffswand vor uns auf und, wie vermutet, war da keine Leiter und auch nichts Leiterähnliches. Die ersten Personen wurden von einem schmächtigen, jungen Matrosen (schwarze Haut, hellblaue Augen) hochgezogen, ich war am Ende meiner Kraft.  
"Du kannst mich nicht hochziehen," sagte ich zum Matrosen. "Ich bin dick und mir ist super schlecht!" 
"Doch, doch, ich kann jeden hochziehen," antwortete er. "Stell' den Fuss auf die Plattform," sagte er. Die Plattform war ein winziges Rändchen entlang des Schiffsrumpfes, vielleicht eineinhalb oder zwei Zentimeter breit, darauf sollte man ein Bein stellen und sich hochstemmen. Unmöglich, logisch. Ich versuchte zu tun, was er gesagt hatte, schaffte es auch so halbwegs, aber da war nichts, wo man sich oben gescheit festhalten konnte und ich plumpste wieder ins Wasser zurück. Über das Schämen war ich zu diesem Zeitpunkt bereits hinaus. Ich versuchte es noch einmal und schaffte es. Der Matrose zog mich über die Schiffskante wie einen bewusstlosen Wal. Mein Sohn erzählte später, er hätte sich auf den Rücken gelegt und mit den Beinen meinen Hintern hochgeschoben. Ich fragte ihn, ob die anderen Schnorchler nicht geguckt und gelacht hätten. Er antwortete mir nein, die wären alle mit sich selbst beschäftigt gewesen. Da war ich nun also im Boot und es war mir immer noch sooo schlecht. Ich schleppte mich wieder in die Richtung meines Platzes, sank aber vorher nieder, neben der Gattin des alten Peruaners. Sie war sehr nett und kümmerte sich rührend um mich. "Atmen Sie ruhig und tief," sagte sie. Ich fragte, ob sie Ärztin sei und sie antwortete, sie sei Lehrerin gewesen. Wir fuhren zur nächsten Haltestelle, wo mein Gatte zustieg. "Die Delphinshow war toll," verkündete er. "Ich habe schöne Bilder gemacht. Wollt ihr sie sehen?"
Ich hing stumm und elend in meinem Sitz und wollte die Bilder nicht sehen. 
Die Peruanerin machte mir vor, wie man ruhig und tief atmet. Es war nicht einfach, ihrer Anweisung zu folgen. Die Luft war nämlich grottenschlecht durch die vielen Boote, die ihren Motor laufen liessen. Und es war nicht dieser frische Duft von Benzin, den man an Tankstellen ganz gerne riecht, es war der fürchterliche Gestank von Abgasen, den junge Menschen vielleicht gar nicht mehr kennen. Es roch wie vor fünfzig Jahren an einer stark befahrenen Kreuzung in einer Grossstadt, es roch wie kurz vor der Kohlenmonoxyd-Vergiftung. Das ist der typische Karibik-Duft. (Kann man sich eigentlich noch mit Autoabgasen umbringen, jetzt, wo es diese ganzen Katalysatoren gibt? Naja, egal.)
Das Boot schaukelte eine halbe Stunde in der Sonne, bevor alle Besucher des Delphinariums wieder zurück waren. Ich kaute noch einen Reisekaugummi. Dann fuhr das Boot zurück zum berühmten weissen Strand der Insel Barú. Der Strand sieht haargenau so aus wie der Strand auf Postern von der Karibik. Das Wasser ist völlig klar, der Sand weiss und so weiter. Hinter dem schmalen Strand steht eine geschlossene Reihe von Karibikbüdchen - möchtegern Karibikbüdchen hätte ich fast geschrieben, aber die sind hier ja nicht möchtegern, es sind die Originale. Es gibt Hostels und natürlich Wirtschaften ohne Ende. Das Mittagessen war im Preis des Ausflugs inbegriffen. Ich dachte, vielleicht tut es mir gut, wenn ich etwas esse. Es war das typische Essen: Reis, gebratene Banane, Schwedensalat und den Fisch, der vor Ort massenhaft gefangen wird. Es ist nicht sehr viel dran an diesem Fisch, er wird frittiert serviert. Dazu gab es Limonade. Ich brachte fast nichts runter. Wir sassen mit einer Familie aus Pereira am Tisch. Die Frau erzählte, ihr sei auch im Wasser sofort schlecht geworden. Nach dem Essen mieteten wir uns in einem der Büdchen eine riesige, bettartige Liege, wo ich sofort einschlief. Ich glaube, das lag an den zwei Reisekaugummis hintereinander.  
Auch an diesem Strand roch es wie fünf Minuten vor Smog-Alarm.
Nach einer Weile begann es, ganz leicht zu regnen. Wir lagen unter dem Sonnenschirm, nur unsere Waden wurden nass. Das war ein schönes Gefühl in dieser Hitze, denn das Meer ist dreissig Grad warm und bietet keine Abkühlung. Die kühlen Regentropfen auf der heissen Haut, das war das Schönste am Ausflug, darin waren wir uns einig. 
Anschliessend ging es mit dem Boot zurück nach Cartagena. Der Kapitän raste eine Stunde lang wie eine gesengte Sau, das Wasser spritzte rechts und links hoch, die Fahrgäste waren völlig durchweicht. Gut, dass er vorher darauf hingewiesen hatte, dass man sein Handy in Sicherheit bringen sollte. Dem alten Peruaner, neben dem ich auf dem Rückweg wieder sass, reichte es irgendwann und er pfiff sehr  laut und schrill. Er war das auch gewesen, der auf der Schnorcheltour gepfiffen hatte. Er konnte gellend pfeifen, ohne die Finger zu Hilfe zu nehmen. Anschliessend lachte er leise vor sich hin, da natürlich niemand dachte, dass er das gewesen war.
Klatschnass kamen wir im Hafen an. Der Reiseleiter forderte uns mehrfach auf, ihm Trinkgeld zu geben. Ich beobachtete, wie viel Geld er nach dieser Tour/Tortur tatsächlich von seinen Kunden bekam. Ein Kind gab ihm zweitausend Pesos, das sind sechzig - Pfennige, wollte ich gerade schreiben, hahaha, sechzig Cents meine ich natürlich. Ich habe mich immer noch nicht zu 100% von der Übelkeit erholt. 
Mein Gatte sagte: "Die Tatsache, dass weder Amerikaner noch Europäer am Ausflug teilnahmen, hätte uns zu denken geben müssen." Hätte, hätte, Fahrradkette, kann ich da nur sagen. 
Abends gönnten wir uns ein Essen in einem etwas gehobenen Restaurant. 

Sonntag, 26. August 2018

Tag 9 - Cartagena de Indias, ah, die Karibik...

Wir waren am Strand. Er ist herrlich und liegt direkt vorm Hotel, man muss nur eine schmale Strasse überqueren. Das Wasser ist ganz sauber und so 29, 30 Grad warm. Die Wellen sind so stark, dass man nicht schwimmen kann, aber nicht so stark, dass sie einen umschmeissen. Er ist praktisch unendlich lang, jeder kann in der ersten Reihe am Wasser sein. Ein Top-Strand in jeder Beziehung. 
Wir mieteten uns drei Liegen und einen Sonnenschirm und richteten uns häuslich ein. Ein Verkäufer nach dem anderen lief vor uns vorbei. Sie priesen die unterschiedlichsten Waren an. Schliesslich kam einer, der gekochten Hummer verkaufte. Damit war für mich das Mass alles Vorstellbaren überschritten und ich beschloss in mein Notizbuch zu schreiben, was so alles an uns vorbei getragen und uns angeboten wurde. Es geht los: Tatoos, die man abwaschen kann, Perlenarmbänder, schön aufgeschnittenes Obst, Bier, einzelne Perlen, Eis, Erfrischungsgetränke, Massagen, Musiker, Halsketten, gekühltes Wasser, Zigaretten einzeln oder im Päckchen, einschl. Ansteckservice, hausgemachtes Gebäck, Strohhüte, frittierte Speisen, Rapper, die einzelnen Badegästen karikierende Songs widmen, Sonnenbrillen, Hängematten, Strandkleider, auch in grossen Grössen, Andenken aus Stein, aus Holz, aus Plastik, schön geschnitzte Dominosteine, komplette Mittagessen mit gebratenem Fisch in Styroporschalen, Schnaps, Flaschenöffner in Bierflaschenform, Pareos (so grosse Tücher, aus denen man sich einen Rock oder ein Kleid binden kann), Haarbänder, Cocktails, ein Beinamputierter, der einfach nur bettelt, ich weiss nicht, was ihn daran hindert auch etwas zu verkaufen oder zu singen. Die auf den Liegestühlen neben uns halten dauernd jemanden an. Sie haben schon gebratenen Fisch und Frittiertes sowie Obst gegessen, Fruchtsäfte getrunken und Armbändchen gekauft. 
Ausserdem gibt es Bodyboardverleiher, auf dem Wasser fahren Jetskis (oder wie diese Wassermotorräder heissen), auf denen man mitfahren kann. Ein Eisverkäufer kommt gerade vorbei. Mein Sohn wollte eigentlich Eis kaufen, er ist aber gerade nicht da. Kokosölverkäufer. Die neben uns lassen sich die Füsse massieren. Gerade bieten sie Ceviche (marinierte Krabben) an. Die neben uns gönnen sich Eis. Es sind so viele Verkäufer, dass sie sich manchmal stauen. Die Strohhüte werden wieder angeboten. Zwei Mädchen aus der Gruppe neben uns beschliessen, Jetski zu fahren. Armbändchen, T-Shirts, eine taubstumme Bettlerin, wieder die Flaschenöffner, Strandkleider, Wasser, ich komme mit dem Schreiben kaum nach. Eine Prozession führt vor uns vorbei. Strandeimerchen. Viele Produkte sind echt sinnvoll. Reis mit Hühnchen, kalte Getränke, typisch venezolanisches Gebäck. Ich schreibe in Echtzeit (mit dem Kuli, für den Blog habe ich es einfach noch mal abgeschrieben). Gerade ist Ruhe, während unsere Nachbarn sich von den Venezolanern das Gebäck erklären lassen. Arepas (Maisfladen), Augenbrauen zupfen. Unsere Nachbarn beginnen eine Diskussion mit den Venezolanern, warum sie ihren Präsidenten Maduro nicht endlich zum Teufel jagen und kaufen Gebäck. Ein ausgewachsenes Orchester nähert sich, Massagen, kühles Bier, Bonbons, gebratener Hummer, Fruchtsaft, das Orchester ist in geringer Entfernung monoton trommelnd stehengeblieben. Zum Orchester gehören auch Tänzer, sie stehen jetzt vor uns, Popcorn, Mango, dem einen Tänzer läuft der Schweiss über das Gesicht, das Orchester zieht weiter. Mit Lederummantelung verzierte Flaschen, Einwegtatoos, ich schreibe ohne Unterlass, Kühlschrankmagneten. Uff, Pause. 40 Sekunden, ich habe auf die Uhr geschaut. Wasser, Rosenkränze, Wasser, Bier, Badehosen - auch keine schlechte Idee, Strandkleider, Fruchtsäfte, Akkordeonspieler, Haarschmuck, kolumbianische Fahnen, Armbänder, Bier, Wasser, Bier auch alkoholfrei, Ohrringe, Armreifen, venzolanisches Geld, Pause, 1 Minute, Tatoos, 2 Minuten Pause, Sonnenbrillen. Wenn mein Sohn wiederkommt, kaufen wir Eis, also wenn ein Eismann vorbeikommt, bloss nicht bewegen, hahaha. Unsere Nachbarn kaufen Bananen. Selfiesticks, Einer, der den Namen des Kunden auf Reiskörner schreibt, Sonnenöl, Schwimmreifen in allen Grössen, kleine Grills mit Würstchen werden vorbeigetragen. Ich halte einen Verkäufer an: "Möchten Sie das Würstchen gut durchgebraten oder nur knapp? Mit dieser Sauce oder jener?" Eine Arepa (Maisfladen) gibt es noch dazu. Kaum habe ich mein Würstchen (auf einem Spiess, damit man es gut essen kann), eilt ein Getränkeverkäufer herbei, dem ich ein gekühltes Getränk abkaufe. Bälle, USB-Sticks mit 600 typischen Liedern. Es ist Mittagessenszeit. Noch mehr Grills und komplette Essen in Styroporschalen. Das venezolanische Gebäck war anscheinend sehr gut, unsere Nachbarn warten auf die Rückkehr der Verkäufer. Hähnchenschenkel, Chips, Lutscher, Mango. Die Nachbarn kaufen zwei Flaschen Bier und legen sich damit dahin, wo die Wellen auslaufen. Meer umspült in der Karibik ein kühles Bier trinken... sie verstehen zu leben. Der Eismann kommt wieder, mein Sohn ist immer noch nicht zurück. Dominosteine, Cocktails, Ceviche, Andenken. 
Ich kaufe mir einen Kühlschrankmagnet in Form einer Languste. Alle Teile bewegen sich, weil sie mit empfindlichen Federn befestigt sind (gegebenenfalls lade ich ein Foto hoch, wenn wir wieder zuhause sind). Fussballtrikots, kubanische Zigarren. Zwischendurch lief ergänzend einer herum, der einem anbot, irgendetwas zu bringen von den vorgenannten Sachen, zum Beispiel ein Schippchen und Eimerchen für weinende Kinder. Ja, es ist der helle Wahnsinn. Zum Umgang mit all diesen Händlern: Man ignoriert sie nicht genervt, wie man das in Europa vielleicht tun würde, sondern man bedankt sich. Ja, man sagt ihnen allen freundlich "Gracias". Wenn man liest oder in sein Notizbuch schreibt, lassen sie einen in Ruhe. Handeln ist hier auch nicht üblich. Die genannten Preise sind normalerweise okay. Die Leute müssen ja von irgendwas leben.

Samstag, 25. August 2018

Tag acht - Ankunft im Themenpark Cartagena de Indias und ein Kessel Buntes

Dieser Eintrag wird völlig chaotisch. Ich befinde mich in der Karibik, in unserem Hotel in Cartagena de Indias, dem Intercontinental, in unserem grossen, bequemen Zimmer mit frontalem Blick aufs Meer. Ja, geniesst Euren Neid eine Sekunde lang, bevor ich Euch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückhole, wir dürfen das Hotel nämlich zweimal bezahlen. Ich Idiot habe das Zimmer auf einer Fake-Website gebucht. Ich buche Hotels immer auf der Seite von Tripadvisor.com, von dort wird man zu den einzelnen Anbietern weitergeleitet und in meinem Fall war das eben GalaHotels.com. Ich reservierte und bezahlte im Voraus. Mit unserer ausgedruckten Buchungsbestätigung erschienen wir an der Rezeption des Hotels, dort wusste man von nichts. Der freundliche junge Mann, der uns am Empfang bediente, verschwand hinter den Kulissen, blieb ewig verschwunden. Als er dann zurückkam, hatte er sogar in der Türkei angerufen, wo dieses verbrecherische Unternehmen GalaHotels seinen Sitz hat. Natürlich erfolglos. GalaHotels sind Betrüger, schnief, schnief, schnief, und wir bzw. ich bin auf sie hereingefallen. Ein Haufen Geld im Arsch. Das Intercontinental in Cartagena gibt uns zum Trost 10% Rabatt und kostenloses Frühstück. Immerhin.
Karmamässig war heute kein besonders guter Tag. Auf unserem Flug von Pereira nach Cartagena sind wir nämlich auch schon beschissen worden, in diesem Fall vom tschechischen Flugvermittler kiwi.com (über Kayak gebucht). Warum man einen kolumbianischen Inlandsflug bei einem tschechischen Unternehmen bucht, das erschliesst sich sowieso nicht auf den ersten Blick - auf den zweiten auch nicht, aber es wird schon seine globalisierte Richtigkeit haben. Jedenfalls hatten wir zwei Sitzplätze und pro Nase einen aufgegebenen Koffer gebucht und bezahlt. Als wir am Schalter standen, wollten sie noch einmal Geld für die Koffer. Mein Gatte zeigte unsere Buchungsbestätigung, auf der klar und deutlich stand: 2 Personen, 2 aufgegebene Koffer. Das war den Heinis von Viva Colombia egal, wir mussten noch einmal blechen. Wir sollten bei den Tschechen reklamieren, sagten sie uns. Na toll. 
Mein Gatte und ich sassen im Flugzeug auch nicht zusammen, das hätte nämlich auch extra gekostet.  Wir sassen vier Reihen und einen Platz auseinander. Neben ihm war ein Mann, der von Cartagena aus zu einer Kreuzfahrt aufbrechen wollte. Seine Frau sass auch von ihm getrennt. Naja, auf ihrer Kreuzfahrt werden sie noch genug Zeit miteinander verbringen. Neben mir war ein junges Paar auf Hochzeitsreise, das hatte dafür bezahlt, zusammensitzen zu dürfen. Die beiden waren witzig. Sie waren noch nie zuvor geflogen und als der Flieger abhob, begann die Frau zu lachen und zu schreien und konnte gar nicht mehr aufhören und ihr Mann wurde auch ganz euphorisch und noch ein paar Erstflieger im Flugzeug liessen sich anstecken, das war lustig.  
Nach unserer Ankunft ging's ins Hotel. Was dort geschah, siehe oben. Nachdem wir uns vom Schock (Es gibt wahrlich Schlimmeres. Hauptsache alle gesund und niemanden umgefahren.) erholt hatten, fuhren wir mit dem Taxi in die Altstadt von Cartagena. Wir waren ziemlich niedergeschlagen und hatten keinen Sinn für Nichts. Ja, es hat schon seine Gründe, warum die meisten Leute Pauschalreisen buchen. 
Cartagena ist eine der schönsten und superallerbesterhaltendstenden spanischen Kolonialstädte in Lateinamerika und gehört zum Weltkulturerbe. Ja, hm. Wie gesagt, mit seinen bunt bemalten Häusern und schönen Balkonen und Gittern und tropischen Pflanzen, die an den Fassaden hochranken und die Innenhöfe zieren, fühlt man sich ein bisschen wie im Themenpark "Lateinamerikanische Kolonialstadt". Es ist eigentlich wurscht, ob es echt oder ein chinesischer Nachbau ist. Ich fragte meinen Gatten, ob sich die Touristen in Salamanca wohl auch manchmal wie in einem Themenpark fühlen, wie im Themenpark "Siglo de Oro", dem spanischen Goldenen Zeitalter im 16. und 17. Jh., in dem Salamanca seine Blüte hatte, und mein Gatte antwortete ja. 
Die ganze Altstadt von Cartagena ist von einer Festungsmauer umgeben, auf der man herumspazieren kann. Auf den Wiesen gleich ausserhalb liessen Kinder hunderte von Drachen steigen. Morgen müssen wir die Stadt noch einmal in aller Ruhe erkunden. Direkt vor unserem Hotel ist der Strand... ich werde Euch auf dem Laufenden halten und vor allem noch einmal auf Pereira zurückkommen. Unser Aufenthalt in der Stadt ohne Sehenswürdigkeiten war nämlich sehr interessant und informativ.
P.S.: Apropos GalaHotels Betrug: Wir haben das Geld von GalaHotels wieder zurückbekommen. Es war sehr schwierig, sie zu kontaktieren und auch von Spanien aus konnte man nur Englisch mit ihnen sprechen (was für die meisten Spanier ja schon eine hohe Hürde darstellt). Ich erklärte ihnen, was passiert war, wurde hingehalten, aber da es sich um einen für uns hohen Betrag handelte, insistierte ich immer wieder. Schließlich sagte ich: "Ich werde Sie verklagen. Bitte sagen Sie mir, wie oft Sie noch von mir angerufen werden wollen und wie oft Sie mich noch hinhalten wollen, bevor ich zur Polizei gehen, denn ich werde auf jeden Fall Anzeige erstatten." Als das klar war, haben sie uns das Geld zurückgezahlt. Ich verstehe echt nicht, wieso so einer Firma nicht das Handwerk gelegt wird. Ach ja, das Geld von Kiwi für die Koffer haben wir auch zurückbekommen, darum hat sich dankenswerter Weise mein Sohn gekümmert.

Donnerstag, 23. August 2018

Der fünfte und der sechste und der siebte Tag in Kolumbien - Pereira

Sooo. Wo soll ich anfangen? So viele Eindrücke... Wir sind den ganzen Tag mit den Freunden zusammen und es wird gequatscht und herumspaziert und besichtigt und gefuttert, ich habe gar keine Zeit nachzudenken und die Erlebnisse zu sortieren. Heute waren wir auf einer Kaffeeplantage. Von der Stadt ohne Sehenswürdigkeiten aus ging es eineinhalb Stunden in die Berge, in die Anden, und was sahen wir dort gleich als erstes auf dem Parkplatz? Ein riesiges Wohnmobil aus Altötting. Ohne Scheiss. Ich begrüsste die Besitzer mit den Worten: "So abgelegen kann ein Ort gar nicht sein, dass man dort keine Deutschen trifft!" Hahaha. Es war ein nettes Rentnerehepaar auf Weltreise. Sie waren seit drei Jahren in Südamerika unterwegs. 
Auf der Plantage hatten wir eine Führung, die war recht lehrreich und unterhaltsam. Dann ging es in der Dunkelheit zurück nach Pereira. Ich kann jedem, der nicht gerne andere Menschen tot fährt, nur eindringlich davon abraten, hier Auto zu fahren. Bitte bedenkt, dass es hier schon um halbsieben dunkel ist. Auf stockfinsteren Landstrassen sind dunkel gekleidete Radfahrer ohne jede Beleuchtung unterwegs. Auch auf der Autobahn rasen sie gern mal  mitten auf der rechten Spur bergab, die Radler. Bergauf lassen sie sich dann von einem Lkw ziehen. Wir haben beobachtet, wie junge Leute (ohne Fahrrad) an Kreuzungen hinten auf Lastwagen gesprungen sind. Hammer, was man hier alles sieht. 
Auf einer Strasse in der Stadt, in Pereira, stand einer und schnüffelte Klebstoff aus einer Tüte. Von dieser Sucht hatte ich schon gehört, hatte aber den tatsächlichen Vorgang noch nie beobachtet. Überhaupt, was sich hier alles an Ampeln abspielt! Wir sahen einen jungen Mann, auf dessen Schultern ein junger Mann stand, auf dessen Schultern noch einer stand, und alle drei jonglierten! Alles mögliche wird einem an Ampeln verkauft. Venezolaner, deren Geld ja im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr wert ist, also gar nichts, bieten einem ihre Geldscheine an: "Geben Sie mir einfach irgendwas dafür." Man gibt ihnen ein paar Cents für Scheine, mit denen man bis vor Kurzem noch richtig was kaufen konnte. Ts. 
Was war heute noch alles? Ich habe endlich mal wieder mein Haar gewaschen, also nach vier Tagen. Hier im Haus gibt es nur kaltes fliessendes Wasser. Man denkt, ach, ja, in den Tropen, wo die Temperatur dreissig Grad beträgt, da kommt bestimmt auch das Wasser so warm aus der Leitung. Falsch gedacht. Es kommt genau so kalt aus der Leitung wie bei uns in Spanien. Zum Duschen geht es ja gerade noch. Husch, husch, da ist man wenigstens schnell fertig. Aber zum Haare waschen? A. hatte mir angeboten, mir Wasser warm zu machen, wie sie es auch für die fast neunzigjährige Oma tut, aber ich hatte abgelehnt, weil ich nicht als Weichei dastehen wollte. Aber dann hatte ich Angst, dass ich ohnmächtig werde, wenn ich so viel eiskaltes Wasser über meinen Kopf laufen lasse, oder dass das Shampoo unter diesen Bedingungen nicht richtig schäumt und das Haar fettig bleibt und die ganze Tortur umsonst ist, also bat ich sie heute früh doch um ein wenig warmes Wasser. Sie machte auf dem Herd zwei grosse Töpfe voll heiss und schüttete sie dann in eine Tonne, wo sie mit kaltem Wasser vermischt wurden. Mit einer kleinen Schüssel schöpfte ich das Wasser über mich. Das klappte ganz gut, mein Haar ist wieder sauber. Der Rest von mir war sowieso sehr sauber, da wir am Tag zuvor im Thermalbad von Santa Rosa gewesen waren. Die Termales sind ein Traum: Man sitzt in 40 Grad warmem Wasser und schaut einem 95 Meter hohen Wasserfall in mitten von sattgrünen Urwaldhügeln beim Fallen zu. Wenn man möchte, kann man sich zwischendurch auch unter diesem Wasserfall abkühlen. Pa-ra-die-sisch. Aber auch hier: etwas schwierig hinzukommen. Nach der Anreise von Pereira aus geht es noch drei Kilometer auf Waldwegen durch den Wald und dann muss man noch ein Stück laufen. Überraschenderweise sind trotzdem viele Besucher dort. Dieser Ort ist absolut empfehlenswert und eine richtige Sehenswürdigkeit. Wenn man so etwas in Deutschland hätte, das wäre eine Sensation!
Was muss ich Euch noch alles erzählen? Von wie wir die Schule besichtigt haben und wie es hier sonst noch so ist. Von unserem Besuch bei Yesica und ihrer Familie. Ihr kleines Mädchen ist das Patenkind von meinem Sohn und seiner Freundin. Und dann noch von der Innenstadt von Pereira und von wie wir im Kino waren. Wir haben uns den neuen "Misión Imposible" mit Tom Cruise angeschaut. Der ist tatsächlich sehr unterhaltsam. Fun Fact: Amerikanische Filme werden für Spanien und Lateinamerika einzeln synchronisiert, ebenso wie Serien, z.B. die Simpsons, die gibt es in spanischem und in lateinamerikanischem Spanisch. Wieder witzig: Yesicas Gatte arbeitet bei der Stadtverwaltung, das hatte man uns vorher erzählt. Zwecks Smalltalk fragten wir ihn, ob er beim "Ayuntamiento" arbeite, so heisst Stadtverwaltung auf Spanisch. Nein, antwortete er. Das überraschte uns. Er arbeite bei der "Alcaldía" fuhr er fort, dem Bürgermeisteramt. So nennen sie das hier.
"¿Qué más?" bedeutet in Spanien "Was noch?" Hier bedeutet es "Wie geht's?" Mein Gatte erzählte die Anekdote von einem kolumbianischen Professor, der in Spanien zu Besuch war und zu einem Kellner sagte "Regálame un whiskey". Darauf bekam er eine heftige Abfuhr. In Spanien bedeutet der Satz "Schenk mir einen Whiskey", in Kolumbien bedeutet er "Schenk mir einen Whiskey ein", hahaha. Das Problemchen ist hier, dass man ja nicht weiss, dass man nicht weiss; dass dem einen nicht bewusst ist, dass er etwas Unangemessenes sagt, und dass dem anderen nicht bewusst ist, dass der eine das eigentlich gar nicht sagen will. Hahaha, oder? Und da wir gerade beim Thema Kulturarbeit sind: Der Roman "María" scheint in Kolumbien eine ähnliche Bedeutung zu haben wie in Deutschland "Die Leiden des jungen Werther". Gebildete Leute haben ihn alle gelesen, er gehört in der Schule zur Pflichtlektüre. Der Inhalt gilt als wahr und autobiographisch. Mein Sohn schockte seine Arbeitskollegen in Cali, die ihm die Fahrt zur im anderen Blogeintrag beschriebenen Finca empfohlen hatten, damit, dass er ihnen erzählte, dass María mehr oder weniger frei erfunden sei, dass wir das im Internet herausgefunden hätten. Daraufhin begannen seine Kollegen, ebenfalls wild nach der Geschichte zu googeln. Das hat er mir heute erzählt. Schade, dass "María" auf Deutsch nicht in einer richtig guten Übersetzung vorliegt. 

Montag, 20. August 2018

Der vierte Tag in Kolumbien

So, weiter mit unserem vierten Tag in Kolumbien: Wir standen zeitig auf und liessen uns ein Taxi kommen, um zum Cristo Rey zu fahren. Das ist eine grosse Christus-Statue, die auf einem Berg ausserhalb der Stadt steht und von der aus man einen schönen, umfassenden Blick auf selbige hat. Leider war der Tag etwas diesig. Oben auf dem Berg standen natürlich wieder massenhaft Stände, wo Andenken wie kleine Lederwaren sowie Speisen verkauft wurden. Es gab unter vielem anderem appetitlich aussehende gegrillte Würste und Maiskolben mit riesigen Körnern. Einer der Führer dort oben hörte meinen Gatten und meinen Sohn spanisch sprechen und begrüsste sie mit den Worten: “Hola, tío, la hostía”, was sehr ordinär ist. Wenn die Kolumbianer die Spanier nachahmen, vergreifen sie sich völlig im Ton, unser Führer gestern auch. Es ist stimmt, dass die Spanier viel gewöhnlicher sind, aber doch nicht so! Und vor allen Dingen nicht Fremden gegenüber! Es ist, als würde ein Schweizer einem Deutschen “Hallo, Alter, Scheisse” sagen, weil er das für typisch deutsch hält. Ts.
Nach dem Besuch des Berges ging es rasch wieder zurück zum Hotel, wo uns unsere Freunde und die Schwiegereltern meines Sohnes abholen wollten. Unser Sohn hatte eigentlich mitfahren wollen, aber sein Arbeitgeber in Cali setzte zwei Besprechungen für die Zeit an, in der er eigentlich in Pereira sein wollte. Er hat sogar ein Flugticket von Pereira nach Cartagena, das jetzt verfallen wird, und er muss sich ein neues Ticket von Cali nach Cartagena kaufen. Naja, kommt vor.
A. und J. kamen also nach Cali, um uns abzuholen. Die Fahrt dauert gut dreieineinhalb Stunden. Vor der Abfahrt gingen wir noch in einem Restaurant essen, welches uns der Führer vom Vortag empfohlen hatte. Das Ambiente war modern, die Gerichte typisch, der Preis mit 10 Euro hoch, etwa doppelt so hoch wie angemessen. Dennoch war das Lokal voll und viele Leute warteten draussen auf einen Tisch.
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns von unserem Sohn und machten uns mit unseren Freunden auf den Weg. Von Cali nach Pereira fährt man auf einer guten Autobahn mit vielen baumbestandenen Abschnitten, auf denen man unter einem richtigen Blätterdach reist. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist aus unerfindlichen Gründen an vielen Stellen sehr niedrig, zum Beispiel 60. Ich würde Europäern nicht empfehlen, in Kolumbien ein Auto zu mieten, nicht um ihrer selbst willen, sondern den Einheimischen zuliebe. Man ist es einfach nicht gewöhnt, auf so viele Mopedfahrer von allen Seiten zu achten, und man würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn man ein Kind umfährt, das auf dem Mittelstreifen Drachen steigen lässt und dabei unvorsichtigerweise auf die Fahrbahn läuft.
An mehreren Stellen gab es Polizeikontrollen. Wir wurden einmal angehalten. Der Polizist gab J. die Hand, schaute in den Wagen und fragte, wo wir herkämen. J. sagte: “Aus Cali,” dann durften wir weiterfahren. J. erzählte uns, diese Kontrollen würden unter anderem der Überwachung der Venezolaner dienen, die aufgrund der wirtschaftlichen Katastrophe in ihrem eigenen Land zahlreich nach Kolumbien strömen, und die kolumbianische Regierung will wissen, wo sie sich aufhalten und was sie so treiben. In Cali haben wir zwei gesehen, die wie wohlhabende Bankangestellte aussahen. Sie stellten sich an einer roten Ampel mit einem Plakat vor die Autos. Auf dem Plakat stand: “Wir sind Venezolaner, helft uns! Wir haben nichts zu essen und keine Medikamente.” Ich weiss nicht, ob sie auf ihre Situation aufmerksam machen wollten oder ob sie in ihren Markenhosen und Polohemden betteln wollten. Durch ihr entschiedenes Auftreten und ihre aufrechte Körperhaltung unterschieden sie sich stark von den gewöhnlichen Bettlern hier. 
Unterwegs wollte A. an einem Aussichtspunkt anhalten. J. sagte: “Dort vorn ist er.” A. entgegnete: “Das kann nicht sein, dort sind doch gar keine Stände.” Hahaha. Am richtigen Aussichtspunkt waren dann natürlich auch wieder Stände.
Als wir in Pereira ankamen, war es schon dunkel. A. und J. leben in einem volkstümlichen Viertel. Mein Gatte, mein Sohn und J. hatten ausgemacht, dass wir nicht bei ihnen, sondern in einem Hotel in der Innenstadt übernachten würden. Sie hatten die Frauen aber nicht von ihrer Übereinkunft in Kenntnis gesetzt, sodass A. und ich vereinbarten, dass wir zwei Tage bei ihnen und zwei Tage in einem Hotel übernachten würden. Unsere jeweiligen Kinder bearbeiteten uns ebenfalls, wir sollten doch in der Innenstadt übernachten, wobei ich gar nicht weiss, ob es in dieser sehenswürdigkeitenfreien Stadt überhaupt eine Innenstadt gibt. Es gab also eine ziemliche Verwirrung, denn einerseits wollten wir A. und J. nicht dadurch beleidigen, dass wir nicht bei ihnen übernachten, immerhin sind wir ja gute Freunde, andererseits wollten wir auch keine Last sein. Unsere Kinder trugen zur Verwirrung bei, indem sie behaupteten, es sei zu laut, weil die ganze Nacht irgendwo Musik spielte, und es würde viel zu früh hell im Zimmer. Lange Rede, kurzer Sinn: wir sind bei A. und J. und liegen im Bett ihres jüngsten Sohnes, der in einem anderen Raum in einem Stockbett schläft. Ob es früh hell geworden ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich mal wieder um vier aufgewacht bin - da war es noch dunkel - und mich, wie ihr seht, mit dem Computer beschäftige. Ausserdem hängt vor dem Fenster ein Vorhang. Ts. Die Musik spielte den ganzen Abend sehr laut, weil auf der anderen Strassenseite, in vier oder fünf Meter Entfernung, ein Geburtstag gefeiert wurde. Und wenn die Musik zwischen zwei Liedern verstummte, hörte man, dass auch noch aus einem anderen Haus Musik drang. Was heisst, die Musik drang aus dem Haus, beim Geburtstag gegenüber standen die Boxen vor der Tür auf der Strasse. Da wir müde waren, schliefen wir trotzdem sofort ein. Als ich aufwachte, war völlige Ruhe, nicht einmal Autoverkehr war zu hören, nur die Uhr hier im Zimmer tickt ziemlich laut und ein paarmal krähte ein Hahn. Jetzt hört man draussen Mopeds fahren.
Im Haus wohnen A. und J. und ihr jüngster Sohn sowie die Oma, die wir schon in Spanien kennengelernt haben. Die Oma ist eine sehr, sehr zierliche Person, die zahllose Nachkommen hat. Das Gerücht, dass sie bereits Ururgrossmutter ist, ist jedoch falsch. Sie ist weit über achtzig. Sie war traurig, dass mein Sohn nicht dabei war, denn sie hat ihn ins Herz geschlossen. Wir brachten die Geschenke mit, die er für sie geplant hatte.

Der dritte Tag in Cali

Ach, und noch etwas zum Thema sprachliche und kulturelle Missverständnisse: An der Zookasse wurde mein Gatte gefragt, ob er "a cuotas" bezahlen wollte. Für spanische Ohren bedeutet das "auf Raten". Da der Eintrittspreis für uns drei nur 20 Euro betrug, musste es wohl etwas anderes bedeuten und mein Gatte sagte prophylaktisch einfach mal ja. Erst als die Kassiererin fragte, in wie vielen Raten er denn bezahlen wollte, kam er auf den Gedanken, dass es tatsächlich dasselbe bedeutete wie in Spanien. Ist das ein Zeichen dafür, wie arm viele Leute hier sind?
Aber weiter zu unserem dritten Tag in Cali: Ich beginne mit dem Abend, zum weiteren Verlauf des Tages gibt es nämlich sehr viel zu sagen und mein Gatte möchte bald frühstücken gehen. Wir kamen also von unserem Ausflug zurück, ruhten kurz im Hotel aus und gingen dann in ein Lokal mit einer lustig beleuchteten Dachterrasse, wo wir etwas tranken und Empanadas, das sind gefüllte Teigtaschen, Tapiokapasteten und mit Käse gefüllte, frittierte Bananen assen. Wie die frittierten Bananen heissen, weiss ich leider nicht, sie sind aber grausamerweise sehr lecker. (Sie heissen “aborrajados”.)
Anschliessend stiegen wir auf den Hügel San Antonio. Es wird hier ziemlich früh dunkel. Ich muss mal darauf achten, um wie viel Uhr es tatsächlich ist, ich glaube um sechs oder so. Der ganze Hügel San Antonio war beleuchtet, hunderte von Leuten sassen auf den Treppenstufen, auf Mäuerchen und Wiesen und genossen die kühle Abendluft. Oben waren natürlich wieder viele Verkaufsstände und mein Sohn kaufte ein paar Ohrringe, die wir seiner Schwiegeroma auf unserer nächsten Reisestation, nämlich in Pereira (der Stadt ohne Sehenswürdigkeiten), mitbringen sollen. Es gab so allerhand Belustigungen: Musik spielte, ein Geschichtenerzähler war da, dem ein kleines Amphitheater zur Verfügung stand, das voll besetzt war. Und auf was die Leute hier alles kommen: An einem kleinen Abhang stand ein Mann, der Plastikkisten vermietete, auf die sich Kinder setzen und dann wie auf Schlitten den betonierten Weg hinunterfahren konnten, also, auf den umgedrehten Kisten. Das funktionierte sehr gut. Die Leute hier verstehen zu leben, das muss man ihnen lassen. Wir spazierten also eine Weile auf diesem Hügel und durch die Gegend, dann begaben wir uns zurück ins Hotel. Was war aber vorher geschehen?
Mein Sohn hatte einen Ausflug zu zwei Haciendas gebucht. Ich erzähle erst von der zweiten, nähern wir uns dem Thema langsam. Wir fuhren also aus Cali heraus zur ersten Hacienda, sie heisst "El Paraíso", mehr sage ich erstmal gar nicht. Man fuhr auf einer einfachen Autobahn, dann auf Alleen mit riesigen Bäumen auf beiden Seiten, die ein Tunnel bildeten. Dieses Land ist so fruchtbar, hier fällt einem Tropfen Cappuccino auf den Boden, am nächsten Tag steht da ein ausgewachsener Kaffeestrauch.
Wir fuhren also am Zuckerrohr vorbei... Die Felder sehen so ähnlich aus wie Maisfelder, aber das Zeug ist viel höher. Wenn wir wieder zuhause sind, lade ich die entsprechenden Bilder hoch (hoffe ich mal). Dann kamen wir zur Finca selbst. Der Garten bzw. Park war traumhaft schön angelegt. Die Bäume, die Blumen! Irgendwelche blühende Pflanzen, die bei uns zwanzig Zentimeter  hoch werden und im Winter eingehen, werden hier meterhoch und sind einfach spektakulär schön. Von den Bäumen hängt so ein Zeug herunter, von den Bäumen, auf denen sowieso schon Orchideen wachsen - auf den Ästen und dicken Baumstämmen wachsen wilde Orchideen! - und dann hängt dieses Zeug herunter, das macht, dass die Landschaft aussieht wie im Traum, wie durch den schönsten Filter. Hoffentlich habe ich ein paar Bilder, die der Sache halbwegs gerecht werden. Ja, und in diesem Park waren so Häuser, die wieder den alten Hütten nachgebildet waren, mit Dächern aus Kokos- oder Zuckerrohrblättern, das eine hatte sogar ein Dach aus Kaktus. Und in diesen Häusern waren Geräte, mit denen man früher den Saft aus Zuckerrohr gepresst hatte. Stellt Euch wäschemangelartige Sachen aus altem Holz vor. Uns bzw. mir steckte aber noch der Besuch der vorherigen Finca/Hacienda in den Knochen.
Ich hole aus: Wie Ihr wisst, wurde ich aufgefordert, das Buch "María" von Jorge Isaacs zu lesen, das auf dieser Hacienda spielt. Ich kam nur bis Seite 100. Wir hatten für den Tag einen ganz lieben Fahrer/Führer, der natürlich auch gleich von diesem Buch anfing. Ich hatte noch nie davon gehört, bevor es mein Sohn uns schenkte. In Kolumbien kennt es jeder, es ist Pflichtlektüre in der Schule. Es ist ein Tearjerker, wie die Amerikaner sagen, der absolute Tränendrüsendrücker. Es ist DER romantische lateinamerikanische Roman des 19. Jhs. Ich habe geschaut, ob er auf Amazon.de auf Deutsch verfügbar ist, er liegt aber anscheinend nur in einer schlechten Übersetzung vor.
Der Autor ist auf der älteren Version des 50.000 Peso-Scheins (etwa 15 Euro) abgebildet, den neueren ziert Gabriel García Márquez. So, also, um was geht es? Unser Fahrer wunderte sich, dass jemand, der den Ausflug macht, das Buch noch nicht gelesen hatte und wollte uns das Ende nicht verraten. Da wir aber auf der Hacienda sowieso alles erfahren würden, baten wir ihn, uns zu erzählen, wie die Geschichte endet, was er dann auch tat. Ich fragte: "Ist das Buch autobiographisch?" und er antwortete: "Ja." Mein Sohn, der mir über die Schulter schaut, hat gerade gesagt: "Da kommt's jetzt!" und es stimmt, es kommt jetzt. Also, worum geht es? Der Vater des Autors war der Besitzer der Finca, wo der Roman spielt und die den Namen "El Paraíso" nicht zu Unrecht trägt. Das Haus im Kolonialstil steht am Fusse der Berge, der Anden, umrahmt von Rosen, wunderschönen Bäumen, üppigen Blumen, und öffnet sich hin auf das kilometerbreite Tal des Caucas. Die Hälfte des Tales gehörte dem Vater des Autors. So, also. Das Kind Jorge, der Autor, der sich im Buch Efraím nennt, wuchs also in dieser paradiesischen Umgebung, im Kreise einer liebenden Familie, unterstützt von vielen Sklaven, auf. Zur Familie gehörte neben den kleinen Geschwistern eine verwaiste Cousine in seinem Alter, María, deren Namen das Buch trägt und die er besonders liebte. Aus diesem irdischen Paradies wurde er schon als kleiner Junge (10 vielleicht? Müsste ich nachschauen und dazu ist jetzt keine Zeit) vertrieben und nach Bogotá zur Schule geschickt. Ihr müsst bedenken, dass es hier zur damaligen Zeit weder Weg noch Steg gab und solche Reisen zu Pferde durchgeführt wurden und viele Tage dauerten. Nach sechs Jahren kam er beschult aus Bogotá zurück in seine Heimat. Dort erwartete ihn die liebliche, liebevolle María. Jeden Tag stellte sie ihm einen Strauss Blumen ins Zimmer. Sie suchte seine Nähe und er die ihre. (Wie gesagt, ich habe das Buch noch nicht fertig gelesen.) Die Eltern bemerkten bald, was sich zwischen den beiden abspielte. Sie wollten die Verbindung verhindern, da Marías Mutter jung an Epilepsie gestorben war und man fürchtete, dass das Mädchen diese Krankheit geerbt hatte. Also beschloss der Vater, den jungen Efraím nach London zu schicken, wo er Medizin studieren sollte. Efraím und María verbrachten ein paar gemeinsame Monate auf der Hacienda. María stellte ihm jeden Tag frische Rosen ins Zimmer, die beiden Liebenden sassen gemeinsam auf einem Felsbrocken im Garten und genossen das Zusammensein. Eines Tages bekam María einen epileptischen Anfall, der die Befürchtungen bezüglich dessen, was ihr bevorstand, nämlich ein früher Tod wie der ihrer Mutter, bestätigte. Efraím machte sich unter Lebensgefahr auf die Suche nach dem Arzt. Auf dem Weg zu selbigem durchquerte er unter anderem einen reissenden Strom… etc. You get the idea.
María schien genesen, aber der schwarze Vogel des Todes umkreiste sie (wörtlich). Efraím brach zu seiner Reise nach London auf. Um von Cali nach London zu kommen, brauchte man damals drei Monate. María schrieb ihm und legte ihren Briefen eine Blume bei. Sie schloss immer mit den Worten: “Solange hier im Garten Blumen blühen, solange bin ich mir sicher, dass Du mich noch liebst” oder so was in der Art. Ihre Krankheit verschlimmerte sich und man schickte nach Efraím. Mittlerweile hatte sein Vater sein Vermögen versoffen und verspielt. Die Rückreise dauerte natürlich auch wieder drei Monate und als Efraím zuhause ankam, war María seit ein paar Tagen tot. Vor ihrem Ableben hatte sie eine ihrer Cousinen, Efraíms Schwester, gebeten, ihre Zöpfe abzuschneiden und diese ihrem Geliebten zu übergeben.
An dieser Stelle heulte die gesamte Gruppe, die an der Führung durch die Finca teilnahm (nur ganz leicht übertrieben). Ja, diese Geschichte ist total autobiographisch, man sieht den herrlichen Garten mit den Rosen, die María jeden Tag für ihren Geliebten pflückte, den Felsen, wo die beiden gesessen haben, das Zimmer, in dem Efraím/Jorge geschlafen hat, das Nähzimmer, wo die Mutter sass, das Arbeitszimmer des Vaters, wo er sein Vermögen verspielte und versoff. Marías Zöpfe, die im Haus aufbewahrt worden waren, hatte ein abscheulicher Tourist gestohlen. So, soweit so gut, bzw. so tragisch. Autobiographisch, ne? Der arme Jorge, ne?
Zurück im Hotel habe ich dann mal gegoogelt, bzw. ein bisschen weiter geforscht. Im Hause der Familie Isaacs gab es keine verwaiste Cousine. Jorge hat nie in England studiert. Wenn es María nicht gab, kann es ja auch die Zöpfe nicht gegeben haben. Man hat in Cali, in Kolumbien, eine ganze Industrie um die Wahrheit dieser Geschichte aufgebaut. Das ist echt verwirrend. Das Buch ist sehr berührend. Jorge Isaacs hatte ein spannendes, unruhiges Leben, aber María hat es eben nicht gegeben. Die Südamerikaner mit ihrem Sinn für Dramen wollen die Geschichte eben glauben. Wenn man den Geldschein in der Mitte faltet, kann man den Autor in Form des Wasserzeichens seine Kreation küssen lassen. Bild folgt, hoffentlich.

Sonntag, 19. August 2018

Der zweite Tag in Cali

Der Tag begann mit einer Kraftbrühe zum Frühstück. Mein Sohn sagte: "Die weckt Tote auf!" Ich freute mich, dass er sich daran erinnerte, dass ich ihnen das immer gesagt hatte, als sie klein waren. Ein Uber-Taxi wurde gerufen und wir fuhren zum Zoo. Uber ist für uns hier das Verkehrsmittel der Wahl, die Männer wissen, wie es funktioniert, ich habe keine Ahnung. Man kann auf einer App verfolgen, wie sich das Taxi nähert, man muss dem Fahrer auch kein Geld geben, das geschieht alles per App. Moderne Zeiten. U-Bahn oder Strassenbahn oder so gibt es hier nicht.
Der zoologische Garten von Cali gilt als einer der drei schönsten in Lateinamerika. Man denkt, hm, haben die Geld für sowas? Aber dadurch, dass sie diese tropisch-üppige Naturlandschaft haben, haben sie natürlich ganz andere Voraussetzungen als anderswo. Ich habe versucht, Fotos hochzuladen, es würde jedoch zu lange dauern. Die Gehege sind wunderschön, die Beschriftungen natürlich 1A. Alles äusserst gepflegt und sehr liebevoll gemacht. Die Häuser sind den Hütten der Ureinwohner nachempfunden. Und überall wird den Besuchern eingehämmert bzw. nähergebracht, wie wichtig es ist, die Natur und insbesondere diesen wunderbaren Wald, den sie hier haben, zu schützen. Kolumbien ist das Land mit der zweitgrössten Tier- und Pflanzenvielfalt der Erde. Soll ich schreiben, dass dieser Zoo der schönste ist, den ich je gesehen habe? Ja, ne? Für meinen Geschmack ist er es. Diese Pflanzen! Die müsste man bei uns im Winter alle reintragen. Und die Papageien, die hätten fortfliegen können! Bromelien wachsen hier einfach so. Bei uns denkt man, oh, nein, da ist mir oben ein bisschen Wasser reingekommen, hoffentlich geht die Pflanze nicht ein. Heute habe ich gelernt, dass in dem Wasser, das oben in den - Problemien wollte ich gerade schreiben, hahaha - in den Bromelien  steht, in ihren Herkunftsländern kleine bunte Frösche und sonstiges Getier siedelt. Interessant, ne?
Im Zoo waren etliche Schulklassen. Die Kinder trugen Schuluniformen, bestehend aus Jogginghosen und Polohemden, sowie einheitliche Turnschuhe. Mein Sohn erklärte, dass dies sei, um soziale Unterschiede nicht so deutlich hervortreten zu lassen. Das finde ich gut. Die älteren Mädchen hatten alle so wunderschönes, langes Haar, das sie offen trugen, das ist mir auch aufgefallen.
Nach dem Zoo gönnten wir uns draussen erst eine Portion Mango und gingen dann noch eine Kleinigkeit essen. Anschliessend machten wir im Hotel Siesta. Ich vertiefte mich in das Buch, das ich für morgen zu lesen habe. Es ist überraschenderweise richtig gut und ich kam bis auf Seite 100 (von 400, mehr werde ich vor dem Ausflug auch nicht schaffen).
Am Nachmittag besuchten wir das kleine, interessante Gold-Museum. Dort wagten die Weltmeister im Beschriften tatsächlich ein Schild anzubringen, auf dem stand, dass man nicht wüsste, wie man gewisse Tier-Darstellungen auf Schalen interpretieren sollte. Gut, dass niemand hierher kommt und dieses Schild sieht. In Deutschland wäre so etwas undenkbar. Man würde forschen bis die Schwarte kracht, um festzustellen, dass es sich um kultische Schalen handelt. (Letzteres ist ironisch gemeint.)
Anschliessend besuchten wir noch das Kirchlein La Merced mit seinem schönen Hof voller tropischer Pflanzen. 
Abends führte uns unser Sohn in das beste Restaurant von Cali, wo man natürlich auch entsprechend Geld hinlegen musste, nämlich sechzig Euro für drei Personen. Für hiesige Verhältnisse ist das viel. Vor dem Restaurant stand ein Wachmann. Einen weiteren Beruf, den wir an diesem Abend sahen: Den professionellen Parkplatz-Freihalter. Die Leute versuchen, mit allem möglichen Geld zu verdienen. Mein Sohn erzählte, an einer etwas komplizierten Kreuzung in der Nähe seiner Wohnung gäbe es einen freischaffenden Verkehrsregler, der sich mitten auf die Strasse stellt und Fahrzeugen hilft, aus einer Nebenstrasse auf die Hauptstrasse zu kommen. Dafür erhält er ein Trinkgeld. Gegen eine kleine Gebühr hilft er einem auch, auf die andere Strassenseite zu kommen. Zebrastreifen sind hier nur Deko. Es gibt auch Menschen, die an roten Ampeln mit einem Stock an Autoreifen klopfen, um zu prüfen, ob der Luftdruck stimmt. Dafür erhoffen sie sich auch ein Trinkgeld. Nach dem Essen ging es mit einem Uber zurück ins Hotel.
Weitere kolumbianische Seltsamkeiten: Es ist verboten, dass zwei Männer auf einem Motorrad oder Roller fahren. Diese Vorschrift stammt aus der Zeit, in der in Kolumbien - hauptsächlich im Zusammenhang mit den Drogenkartellen - viele Verbrechen begangen wurden. Zwei Frauen auf dem Motorrad ja, ein Mann und eine Frau ja, zwei Männer nein.
Eine Seltsamkeit der Sprache, die zu argen Missverständissen führen kann: Das spanische Wort "cancelar", das in Spanien dasselbe bedeutet wie im Englischen to cancel, also stornieren oder löschen. Im kolumbianischen Spanisch bedeutet es bezahlen. Der Kolumbianer fragt: "Möchten Sie die Reise bezahlen?" Der Spanier hört: "Möchten Sie die Reise stornieren?" Da muss man echt aufpassen. 
Die Antwort auf "gracias", die in Spanien "de nada" oder "no hay de que", also "für nichts" lautet, ist in Kolumbien meist "con gusto" oder "con mucho gusto", also "gerne" oder "sehr gerne". Interessant, ne?

Freitag, 17. August 2018

Der erste Tag in Cali

Unser Hotel befindet sich im Stadtteil San Antonio, dem ältesten Teil der Stadt. Das Haus, in dem mein Sohn wohnt, ist ganz in der Nähe. Wie nah, das fanden wir gleich am ersten Abend heraus: Er hatte uns bis in unser Zimmer begleitet, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, dann ging er. Mein Gatte kramte sein Handy hervor und schrieb ihm eine WhatsApp: Melde dich bitte, wenn du zuhause bist. Umgehend kam die Antwort: Bin schon zuhause.
Was geschah also heute? Als erstes frühstückten wir. Das Büffet sah sehr spärlich aus, aber man backte uns Eier nach Wunsch, Rühreier mit allem Möglichen oder Spiegeleier oder was das Herz begehrte, und die kleingeschnittenen Früchte waren köstlich, die beste Ananas, die ich je gegessen habe, und saftige, süsse Papaya. Anschliessend zeigte uns unser Sohn seine Unterkunft. Sie liegt in einem alten, bunt bemalten Haus mit einem wunderschönen Innenhof. Wenn es einem beim Spazierengehen gelingt, einen Blick in das Innere der Häuser in diesem Stadtteil zu werfen - oder wenn man z.B. in ein Restaurant schaut, von denen es hier viele gibt, sieht man, dass es in den meisten solche Innenhöfe mit Brunnen und üppigen Pflanzen gibt. Schön! 
Aber zum Haus, in dem mein Sohn wohnt: Es hat ein Wohnzimmer einschliesslich Schrankwand mit Bibliothek und Essecke, das alle benutzen können, eine Büroecke mit Wifi und einem Kühlschrank mit Getränken sowie weitere gemeinsame Einrichtungen, die ich nicht gesehen habe. Sein Zimmer ist sehr einfach. Ich konnte in Echt aus dem Fenster blicken, aus dem er mich schon per Skype hatte blicken lassen und sah den Strassenverkäufer, der dort Avocados verkauft, den ich auch schon seine Waren anpreisen gehört hatte, während ich mit ihm skypte. 
Nachdem wir die Unterkunft unseres Sohnes gesehen hatten, streiften wir durch diesen schönen alten Stadtteil Richtung Innenstadt. Was sind hier für Leute unterwegs? Cali hat 2,4 Millionen Einwohner, von denen 25 % Afrokolumbianer sind. Von den Armen, die irgendwo in Ecken lagen und schliefen, waren alle schwarze Männer mittleren Alters. Europäisch aussehende Weisse gibt es nicht viele/wenige/kaum. Touristen sieht man auch nur ganz wenige, aber dazu später mehr. Wir liefen also Richtung Zentrum, überquerten eine stark befahrene Strasse und kamen zu einem Platz, wo wir das erste Mal mit den Ständen mit Essen Bekanntschaft machten. Was es da alles für herrliche Früchte gab! Und alles schön geschält und portioniert. Mein Sohn kaufte ein Stück Ananas, das natürlich wieder köstlich war. Die Ananas, die sie hier haben, sind kleiner als die bei uns und unvergleichlich viel besser. Warum wird bei uns dieser Schrott verkauft? Der Unterschied ist wie der zwischen einer reifen, sonnenwarmen, frisch gepflückten Fleischtomate und einer Holland-Tomate. Man könnte die kolumbianischen Ananas doch mit dem Flugzeug nach Europa bringen. Naja, gut, vielleicht gibt es sie ja auf dem Viktualienmarkt oder in irgendwelchen Feinkostläden. Eine Scheibe kostet hier so 15 Cents. 
Also, weiter ging's. Die Stadt ist nicht besonders schön, das kann man gleich mal so sagen. An den Strassen des Zentrums entlang stehen Unmassen von kleinen Ständen, an denen Sonnenbrillen, Handyhüllen und was weiss ich was noch für ein Plunder verkauft wird - und natürlich Früchte ohne Ende. Schliesslich kamen wir an einen Platz voller hoher Palmen, der war ganz hübsch. Er heisst Plaza de Cayzedo, dort steht der Justizpalast. Unser Sohn führte uns in einen Buchladen. Bevor wir morgen zu einer Kaffeeplantage fahren, haben wir das Buch "María" von Jorge Isaacs zu lesen, das dort spielt. Es ist ziemlich dick, ich glaube nicht, dass wir das schaffen werden. Es ist ein herausragendes Werk der romantischen lateinamerikanischen Literatur des 19. Jhs. Vor der Reise nach Cartagena ist "Liebe in den Zeiten der Cholera" von García Márquez zu lesen, das ist, glaube ich, machbar. So, weiter ging's zur Kirche La Ermita, einem Nachbau des Ulmer Münsters in hellblau und weiss und in klein. Sie wurde 1942 errichtet. Fotos folgen (hoffentlich!). Wir gingen hinein in die Kirche. Dort waren ganz schön viele Leute und beteten. Es lief sehr angenehme Musik, nämlich moderne spanische Kirchenlieder, interpretiert von Panflöte und Orchester. Totally Zen. Ich schaute mich um, ob sie irgendwo die CDs verkauften, taten sie aber nicht. So, weiter ging's am Fluss Cali entlang, der in diesen Tagen ein schmutziges Rinnsal tief unten in seinem Bett ist, in der Regenzeit aber ein grosser, kräftiger Fluss. Die Grünanlagen entlang des Flusses mit ihren riesigen Bäumen werden irgendwo als friedlichste Gegend der Stadt beschrieben. Wir überquerten den Fluss und kamen in einen Park, wo wieder Früchte und Säfte feilgeboten wurden und mein Sohn kaufte mir einen Saft, der lecker war und Lulada hiess. Er wird aus Früchten gemacht, die auch auf Deutsch Lulos genannt werden. Weiter ging's zu einem etwas gehobenen Einkaufszentrum, wo unser Sohn uns ein Geschäft mit hochwertigen Lederwaren zeigen wollte. Dort schauten wir uns auch einen Supermarkt an. Es gäbe soviel zu erzählen! "Hier kaufen Leute aus der oberen Mittelschicht, die in der Umgebung auf dem Land wohnen," erklärte mein Sohn. Im Parkhaus, das man durchqueren musste, um zum Supermarkt zu kommen, standen viele SUVs. Auffallend: Keine Mercedes, keine Audis. Schon draussen auf den Strassen war mir aufgefallen, dass man hier nur sehr, sehr wenige deutsche Autos sieht. Die meisten sind Toyotas, Kia, Nissan, Chevrolets, auch Renaults usw. Ich verstehe von Autos nichts, nur seit unser Fahrer in Kambodscha so grosses Interesse an Automarken gezeigt und ich mich gewundert hatte, dass die Marken des Exportweltmeisters dort nur in Form von uralten Mercedes vertreten waren, achte ich darauf. Egal.
Anschliessend überquerten wir wieder den Fluss Cali, in dem sich ein Armer badete, und zwar an einer Stelle, die vielleicht zwanzig Zentimeter tief war. Ts.
Wir waren jetzt wieder im Barrio San Antonio, wo wir zu Mittag essen wollten. Unser Sohn führte uns in ein modernes, vegetarisches Restaurant, in dem sich auch alternative Touristen befanden.
Anschliessend hielten wir in unserem Hotel Siesta. Um achtzehn Uhr machten wir uns per Uber auf den Weg zum Festival Petronio, das der Musik, der Ästhetik und der Gastronomie der kolumbianischen Pazifikküste gewidmet ist. Vor dem Festivalgelände war wieder eine kilometerlange Schlange mit Essensständen, z.B. gegrillten Maiskolben, aber auch die berühmten Salchipapas, fritierte Hotdogs mit Pommes und mächtigen Saucen. Der Eintritt war kostenlos, Polizisten kontrollierten den Eingang. Die Besucher waren hauptsächlich Afrokolumbianer. Es gab mehrere riesige Bühnen mit Musik, zahllose (hunderte?) Buden, an denen typische kunstgewerbliche Artikel verkauft wurden, und natürlich auch unzählige Stände, an denen karibische Gerichte angeboten wurden, die man dann an langen Tischen in einer Art Bierzelt essen konnte.
Wir liefen herum und schauten uns alles an, hörten eine Weile einem Geschichtenerzähler zu und wollten dann zu Abend essen. Es gab zig Buden, wo Speisen verkauft wurden. Wir kannten die ganzen Gerichte nicht, es roch überall ein bisschen nach gebratenem Fisch (Pazifikküste!). Wie sollten wir uns entscheiden? An jeder Bude war der Name des Kochs und eine ziemlich lange Beschreibung seiner Motiviation angebracht. Das fand ich eine gute Idee. Die Kolumbianer beschriften für ihr Leben gerne. Die Verkäufer traten auf einen zu und versuchten, einem ihr Zeug aufzuschwatzen. Wir entschieden uns schliesslich für irgendeinen Stand. Der Verkäufer erklärte uns mehrfach, um was es sich bei den Gerichten handelte, die in seinen Pfannen schmurgelten, aber wir kapierten es nicht so richtig und forderten ihn auf, uns einfach von allem etwas auf einen Teller zu tun. So probierten wir auch zum ersten Mal Ceviche, das waren Krabben in einer kalten Sauce aus Tomaten, Zwiebeln, Koriander, etc. Das war gut, die anderen Sachen gingen so. Wir sind eben die kolumbianische Küche von A. und J. gewöhnt, die ist richtig gut. Nach dem Essen spazierten wir weiter über das Festgelände, das von ziemlich vielen Hilfspolizisten und auch Soldaten gesichert wurde. Wir betrachteten die Kleider, die geflochtenen Sachen und die übrigen künstlerischen Gegenstände, die da angeboten wurden, ebenso wie ein Likör, der angeblich so wie  Baileys und für die Pazifikküste typisch ist. Es gab auch viele Stände, an denen afrikanische Flechtfrisuren gemacht wurden. Wir kauften nichts, was soll man denn mit dem ganzen Plunder, ausserdem habe ich schon etwas im Auge, was ich mir als Andenken mitnehmen möchte. Touristen waren, wie überall in Cali, keine da. Nur einmal sahen wir zwei und ich sagte zu meinem Sohn: "Guck mal, da sind wieder die alternativen Touristen von heute mittag im vegetarischen Restaurant." Mein Sohn entgegnete: "Nein, das sind sie nicht, die sehen bloss alle gleich aus." Hahaha. Die Abendluft war sehr angenehm und wir hörten ein Weilchen der afrikanischen Musik zu. Dann nahmen wir uns ein Taxi und wollten wieder zum Hotel fahren. Kurz vor der Ankunft dort verlor mein Sohn das Vertrauen zum Fahrer, weil dieser plötzlich die Richtung gewechselt hatte. Vielleicht hatte er sich einfach nur verfahren, aber man weiss ja nie, Kolumbien ist ein gefährliches Pflaster, wie man immer wieder aus berufenem und unberufenem Munde hört. Wir stiegen also aus und gingen zu Fuss weiter. Dabei kamen wir durch einen Park, der Loma de la Cruz heisst und den uns unser Sohn sowieso hatte zeigen wollen. Dort spielte Musik und viele Menschen tanzten. Mein Gatte sagte: "Sie haben nicht genug zum Leben, aber genug zum Tanzen." Das war ziemlich treffend, denn bei vielen Leuten fragt man sich: Haben die genug zum Leben? Dreihundert Euro scheinen hier ein normaler Lohn zu sein. Wir liefen zurück zum Hotel und fielen wie die Steine ins Bett und schliefen sofort ein. Um vier Uhr dreissig war ich wieder wach... 

Donnerstag, 16. August 2018

Unsere Reise nach Kolumbien - die Anreise nach Cali

Um halb elf Uhr morgens verliessen wir unser trautes Heim in der Nähe von Salamanca Richtung Busbahnhof, von wo aus wir nach Madrid an den Flughafen fuhren. Entlang der Strecke waren alle Felder gelb und ich freute mich schon auf das viele Grün, das uns ganz sicher in Kolumbien erwarten würde. 
Als wir in Barajas unser Gepäck aufgaben, erhielten wir eine weitere dieser Entschuldigungen, die wir bereits per E-Mail erhalten hatten, dass nämlich unser Flugzeug alt und schlecht sein würde wegen irgendwelcher Streiks und dass uns nicht Avianca, sondern Evelop befördern würde, dass man sich aber überzeugt hätte, dass das Flugzeug sicher sei. Okay, ne? Wenig Vertrauen einflössend, aber nicht zu ändern. Evelop fliegt allerdings täglich zwischen Madrid und Cali und bisher ist noch kein Flieger abgestürzt, das ist ja auch ein gutes Zeichen. Ich versicherte meinen Jungs noch einmal, wie sehr ich sie liebe und dann stiegen wir ein. Was heisst, wir stiegen ein. Dann fuhren wir mit dem Bus vom Gate zum Flugzeug. Ein kleiner kolumbianischer Junge stand auf und bot mir seinen Sitzplatz an, das hat schon mal gleich einen sehr guten Eindruck gemacht.
Der Airbus 330 (so viel ich weiss ganz, ganz solide Maschinen) verband Altes mit Neuem, nämlich die enge Bestuhlung moderner Billigflieger mit dem elektronischen Entertainment von vor vierzig Jahren. Werden sie uns denn irgendwie für den mangelnden Komfort entschädigen? fragte nicht nur ich mich. Nö, schien es. 
Dann ging es los, über das sonnenverbrannte Spanien und an der portugiesischen Küste hinaus über das Meer. Das ist wie ein Sprung, ganz toll. Und manchmal sieht die Küste von oben aus wie eine Abbildung im Atlas. Ich habe schon x-mal versucht, diesen Moment mit einem Foto festzuhalten, aber auch diesmal ist nichts Gescheites dabei herausgekommen. 
So, und dann kam stundenlang atlantischer Ozean im strahlenden Sonnenschein, manchmal mit Wölkchen gesprenkelt. Blaues Meer, blauer Himmel, zwei Stunden später schaut man wieder aus dem Fenster, blaues Meer, blauer Himmel, und eine weitere Stunde später dasselbe. Wie muss das früher gewesen sein, als man noch mit dem Schiff fuhr? Zu Zeiten Kolumbus'? Blaues Meer und blauer Himmel, tagein, tagaus. Dann flogen wir laaange dem Sonnenuntergang entgegen. Manchmal schien die Sonne untergegangen zu sein, dann war sie wieder da.
Tierra!!! Alles wir endlich über dem Festland waren, war es Nacht. Ich hatte mich so auf das Grün gefreut, aber da lagen nur Städte wie festlich beleuchtete Kuhfladen in der Dunkelheit.
Schliesslich landeten wir in Cali. Gerade in dem Moment, als ich dachte, was für ein erstklassiger Flug es doch gewesen war, begannen die Leute zu klatschen. Das Publikum würdigte die Arbeit des Piloten. Vielleicht war der gute Pilot der Ausgleich für das unbequeme Flugzeug. 
Dann kamen wir also in Cali an, mein erstes Mal in Südamerika. Das Passvorzeigen und so ging sehr schnell, überall waren grosse Willkommensschilder, auch die Beamten hiessen uns willkommen. Bis wir das Gepäck wiedersahen, dauerte es lange. Daran waren die Mitreisenden aber nicht ganz unschuldig, denn die Leute hatten Gepäckmassen dabei wie ich es noch nie gesehen habe. Anscheinend hatte es keine Begrenzung gegeben. Schliesslich hatten wir unsere Koffer und wollten durch den Zoll laufen... dort herrschte totales Chaos, eine riesige Schlange hatte sich gebildet, dauernd drängelten sich Leute vor. Die zahlreichen Gepäckträger, die den Reisenden halfen, mit ihren Koffermassen einig zu werden, hatten anscheinend auch Sonderrechte. Endlich waren wir draussen und konnten unseren Sohn umarmen, der schon lange auf uns gewartet hatte. Mit dem Taxi fuhren wir in die Stadt. Der Verkehr war abenteuerlich. Wir fuhren auf einer Art Autobahn, einmal kam uns auf dem Standstreifen ein Motorrad entgegen. Auch ein Radfahrer war dort unterwegs und ein junges Paar. Auf dem Mittelstreifen lief ein Hund, der unserem derzeitigen Leihhund (von dem ich Euch auch noch erzählen muss) ziemlich ähnlich sah. Und wie wagemutig dort überholt wurde! Mannomann. Weiter Richtung Stadt waren zahlreiche Schilder angebracht, die Motorradfahrer ermahnten, an ihre Sicherheit zu denken. Bitter nötig! Weiter ging es zu unserem Hotel, das sich im Stadtviertel San Antonio befindet, dem ältesten Teil der Stadt. Unser Zimmer ist ordentlich und zweckmässig. In Sachen Jet-Lag kann ich berichten, dass ich von Mitternacht bis halb vier geschlafen habe, mein Gatte hat viel mehr geschlafen. Jetzt gehen wir erst einmal frühstücken, von der Stadt haben wir noch nichts gesehen.

Mittwoch, 15. August 2018

Unsere Reise nach Kolumbien

Morgen geht's los! Mein Gatte und ich fliegen nach Kolumbien. Das Wetter wird wahrscheinlich so sein wie auf unserer Reise nach Asien letztes Jahr, 32 Grad, sehr hohe Luftfeuchtigkeit, allerdings weniger Regen. Letztes Mal hatte ich Bedenken wegen der Hitze und der Feuchtigkeit und so. Dieses Mal nicht, denn ich habe es ganz gut vertragen. Man schwitzt halt, gell, aber dafür muss man seltener Pipi, das ist ja auch ein Vorteil, wenn man in einem fremden Land unterwegs ist.
Unser Flug geht von Madrid nach Cali, wo sich unser jüngster Sohn gerade als Gastforscher aufhält. Am 19. August geht es weiter nach Pereira, wo seine Schwiegerleute, unsere guten Freunde A. und J., wohnen. Als ich den Reiseführer für Kolumbien kaufen wollte, gab es drei zur Auswahl. Ich konnte mich nicht so recht entscheiden. Also legte ich die Beschreibung von Pereira zugrunde. Im grünen Michelin-Guide stand (fast wörtlich) "dort gibt's nichts zu sehen". In einem anderen Führer, auf dessen Name ich mich nicht mehr besinne, stand so ziemlich dasselbe. Lonely Planet war etwas positiver: "Wer eine kolumbianische Stadt weit abseits der Touristenpfade sucht, der ist hier richtig." Oder so ähnlich, bedeutet ja auch dasselbe. Ich habe trotzdem nicht den Lonely Planet-Reiseführer gekauft. Die empfehlen nämlich Geheimtipps wie z.B. "ein ganz entzückendes Café, wo sich die einheimische Kunstszene trifft". Wer dann tatsächlich dort sitzt, sind die Lonely Planet-Reiseführerbenutzer, die in Massen eingefallen sind und die Einheimischen vertrieben haben. Da haben wir schon die tollsten Sachen erlebt. Ich sage nur "Sylvia's" in New York, aber das würde jetzt zu weit führen (Sylvia's ist ein afroamerikanisches Soul Food-Restaurant in Harlem, das in den Reiseführern vom DK Verlag als typisch empfohlen wird. Ah, sonntags, nach dem Gospelgottesdienst, gehen da die einheimischen Afroamerikaner hin und essen ihre typischen Speisen. Gelogen. Als wir das Restaurant besuchten, war es bis auf den letzten Platz voll mit Benutzern des DK-Reiseführers New York, der auf der ganzen Welt erscheint. Die einzigen, die unter den Gästen überhaupt gar nicht vertreten waren, waren Einheimische. Ja, das war nicht Lonely Planet, sondern DK, aber bei Lonely Planet fällt es mir besonders auf, weil die so ein bisschen alternativ tun. Is' egal.)
Pereira ist also unsere zweite Station. A. hat mich darauf hingewiesen, dass alles ganz anders ist, als wir denken. Das ist ein bisschen verwirrend, denn wir hören sie seit sieben oder acht Jahren von Kolumbien erzählen. Wir haben schon Bilder und Videos von ihrem Haus und ihrer Straße gesehen. Mein Sohn war auch schon dort. Wir kennen Cousins und Cousinen und sogar die Oma persönlich. Wir freuen uns sehr, A. und J. einmal zuhause besuchen zu dürfen. 
Pereira liegt mitten im Kaffeeanbaugebiet, das stelle ich mir sehr interessant vor. Mich interessiert alles, ich brauche keine Sehenswürdigkeiten. Wie die Leute leben, was es alles zu futtern gibt, wie die Straßen sind und die Häuser und die Geschäfte... die Tiere und die Pflanzen... mein Sohn hat uns Bilder von riesigen Echsen gezeigt (mehr als einen Meter lang, glaube ich, die lagen dort in einem Park auf dem Weg). Kakerlaken soll es auch geben - und zwar riesige, die sogar fliegen können. Hoffen wir mal, dass uns eine Begegnung mit diesen Wesen erspart bleibt, aber man muss sich geistig darauf einstellen, dass sich das vielleicht nicht ganz vermeiden lässt.
Am 24. fliegen wir von Pereira nach Cartagena, der letzten Station unserer Reise. Cartagena ist eine berühmte, sehenswerte Touristenstadt. Mein Sohn und seine Freundin waren schon dort und haben von wunderbaren Stränden erzählt, an denen man auch schnorcheln kann. Da ich vor zwei, drei Wochen zum ersten Mal seit meiner Kindheit wieder mit einem Schnorchel tauchen war (bei der Insel Tabarca vor Alicante) und das so, so toll war, freue ich mich auch darauf sehr. Als Kinder waren wir manchmal mit dem Schnorchel und der Taucherbrille in deutschen Seen unterwegs, wo es nicht viel zu sehen gab. Vor Tabarca war der ganze Meeresboden mit kräftig grünem Gras und unzähligen weißen Blüten bedeckt. Schwärme von wunderschönen, silbrig gestreiften Fischen schwammen umher, Sonnenstrahlen tanzten durch die Wellen... ein Erlebnis. Man wagte gar nicht, seinen Fuß auf den Meeresboden zu setzen, so wunderbar und zerbrechlich sah alles aus. 
Am 29. August fliegen wir von Cartagena zurück nach Cali und am 31. von Cali nach Madrid. 
Von meinem Sohn kam gerade per WhatsApp die etwas kryptische Empfehlung: "Versucht, im Flugzeug nicht zu schlafen oder versucht zu schlafen, damit Ihr keinen Jet-Lag habt, wenn Ihr kommt." Ich glaube, wir werden so aufgeregt sein, dass wir schon deshalb keinen Jet-Lag haben werden (hoffe ich mal).