So, weiter mit unserem vierten Tag in
Kolumbien: Wir standen zeitig auf und liessen uns ein Taxi kommen, um zum
Cristo Rey zu fahren. Das ist eine grosse Christus-Statue, die auf einem Berg
ausserhalb der Stadt steht und von der aus man einen schönen, umfassenden Blick
auf selbige hat. Leider war der Tag etwas diesig. Oben auf dem Berg standen
natürlich wieder massenhaft Stände, wo Andenken wie kleine Lederwaren sowie Speisen
verkauft wurden. Es gab unter vielem anderem appetitlich aussehende gegrillte Würste
und Maiskolben mit riesigen Körnern. Einer der Führer dort oben hörte meinen
Gatten und meinen Sohn spanisch sprechen und begrüsste sie mit den Worten:
“Hola, tío, la hostía”, was sehr ordinär ist. Wenn die Kolumbianer die Spanier
nachahmen, vergreifen sie sich völlig im Ton, unser Führer gestern auch. Es ist
stimmt, dass die Spanier viel gewöhnlicher sind, aber doch nicht so! Und vor
allen Dingen nicht Fremden gegenüber! Es ist, als würde ein Schweizer einem Deutschen
“Hallo, Alter, Scheisse” sagen, weil er das für typisch deutsch hält. Ts.
Nach dem Besuch des Berges ging es rasch
wieder zurück zum Hotel, wo uns unsere Freunde und die Schwiegereltern meines
Sohnes abholen wollten. Unser Sohn hatte eigentlich mitfahren wollen, aber sein
Arbeitgeber in Cali setzte zwei Besprechungen für die Zeit an, in der er
eigentlich in Pereira sein wollte. Er hat sogar ein Flugticket von Pereira nach
Cartagena, das jetzt verfallen wird, und er muss sich ein neues Ticket von Cali
nach Cartagena kaufen. Naja, kommt vor.
A. und J. kamen also nach Cali, um uns
abzuholen. Die Fahrt dauert gut dreieineinhalb Stunden. Vor der Abfahrt gingen
wir noch in einem Restaurant essen, welches uns der Führer vom Vortag empfohlen
hatte. Das Ambiente war modern, die Gerichte typisch, der Preis mit 10 Euro
hoch, etwa doppelt so hoch wie angemessen. Dennoch war das Lokal voll und viele
Leute warteten draussen auf einen Tisch.
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns von
unserem Sohn und machten uns mit unseren Freunden auf den Weg. Von Cali nach
Pereira fährt man auf einer guten Autobahn mit vielen baumbestandenen
Abschnitten, auf denen man unter einem richtigen Blätterdach reist. Die
erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist aus unerfindlichen Gründen an vielen Stellen
sehr niedrig, zum Beispiel 60. Ich würde Europäern nicht empfehlen, in
Kolumbien ein Auto zu mieten, nicht um ihrer selbst willen, sondern den
Einheimischen zuliebe. Man ist es einfach nicht gewöhnt, auf so viele
Mopedfahrer von allen Seiten zu achten, und man würde sich ewig Vorwürfe
machen, wenn man ein Kind umfährt, das auf dem Mittelstreifen Drachen steigen
lässt und dabei unvorsichtigerweise auf die Fahrbahn läuft.
An mehreren Stellen gab es
Polizeikontrollen. Wir wurden einmal angehalten. Der Polizist gab J. die Hand,
schaute in den Wagen und fragte, wo wir herkämen. J. sagte: “Aus Cali,” dann
durften wir weiterfahren. J. erzählte uns, diese Kontrollen würden unter
anderem der Überwachung der Venezolaner dienen, die aufgrund der
wirtschaftlichen Katastrophe in ihrem eigenen Land zahlreich nach Kolumbien
strömen, und die kolumbianische Regierung will wissen, wo sie sich aufhalten
und was sie so treiben. In Cali haben wir zwei gesehen, die wie wohlhabende
Bankangestellte aussahen. Sie stellten sich an einer roten Ampel mit einem Plakat
vor die Autos. Auf dem Plakat stand: “Wir sind Venezolaner, helft uns! Wir
haben nichts zu essen und keine Medikamente.” Ich weiss nicht, ob sie auf ihre
Situation aufmerksam machen wollten oder ob sie in ihren Markenhosen und Polohemden
betteln wollten. Durch ihr entschiedenes Auftreten und ihre aufrechte
Körperhaltung unterschieden sie sich stark von den gewöhnlichen Bettlern hier.
Unterwegs wollte A. an einem
Aussichtspunkt anhalten. J. sagte: “Dort vorn ist er.” A. entgegnete: “Das kann
nicht sein, dort sind doch gar keine Stände.” Hahaha. Am richtigen
Aussichtspunkt waren dann natürlich auch wieder Stände.
Als wir in Pereira ankamen, war es schon
dunkel. A. und J. leben in einem volkstümlichen Viertel. Mein Gatte, mein Sohn
und J. hatten ausgemacht, dass wir nicht bei ihnen, sondern in einem Hotel in
der Innenstadt übernachten würden. Sie hatten die Frauen aber nicht von ihrer
Übereinkunft in Kenntnis gesetzt, sodass A. und ich vereinbarten, dass wir zwei
Tage bei ihnen und zwei Tage in einem Hotel übernachten würden. Unsere
jeweiligen Kinder bearbeiteten uns ebenfalls, wir sollten doch in der
Innenstadt übernachten, wobei ich gar nicht weiss, ob es in dieser
sehenswürdigkeitenfreien Stadt überhaupt eine Innenstadt gibt. Es gab also eine
ziemliche Verwirrung, denn einerseits wollten wir A. und J. nicht dadurch
beleidigen, dass wir nicht bei ihnen übernachten, immerhin sind wir ja gute
Freunde, andererseits wollten wir auch keine Last sein. Unsere Kinder trugen
zur Verwirrung bei, indem sie behaupteten, es sei zu laut, weil die ganze Nacht
irgendwo Musik spielte, und es würde viel zu früh hell im Zimmer. Lange Rede,
kurzer Sinn: wir sind bei A. und J. und liegen im Bett ihres jüngsten Sohnes,
der in einem anderen Raum in einem Stockbett schläft. Ob es früh hell geworden
ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich mal wieder um vier aufgewacht bin - da
war es noch dunkel - und mich, wie ihr seht, mit dem Computer beschäftige. Ausserdem
hängt vor dem Fenster ein Vorhang. Ts. Die Musik spielte den ganzen Abend sehr
laut, weil auf der anderen Strassenseite, in vier oder fünf Meter Entfernung,
ein Geburtstag gefeiert wurde. Und wenn die Musik zwischen zwei Liedern
verstummte, hörte man, dass auch noch aus einem anderen Haus Musik drang. Was
heisst, die Musik drang aus dem Haus, beim Geburtstag gegenüber standen die
Boxen vor der Tür auf der Strasse. Da wir müde waren, schliefen wir trotzdem
sofort ein. Als ich aufwachte, war völlige Ruhe, nicht einmal Autoverkehr war
zu hören, nur die Uhr hier im Zimmer tickt ziemlich laut und ein paarmal krähte
ein Hahn. Jetzt hört man draussen Mopeds fahren.
Im Haus wohnen A. und J. und ihr jüngster Sohn
sowie die Oma, die wir schon in Spanien kennengelernt haben. Die Oma ist eine
sehr, sehr zierliche Person, die zahllose Nachkommen hat. Das Gerücht, dass sie
bereits Ururgrossmutter ist, ist jedoch falsch. Sie ist weit über achtzig. Sie
war traurig, dass mein Sohn nicht dabei war, denn sie hat ihn ins Herz
geschlossen. Wir brachten die Geschenke mit, die er für sie geplant hatte.
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