Mittwoch, 18. Dezember 2019

Im Traum durch Prüfungen fallen

Ich hatte früher einen wiederkehrenden Traum, in dem ich durch das Mathe-Abi gefallen bin. Warum ich diesen Traum hatte, war mir völlig unerklärlich, denn in Wirklichkeit hatte ich ich die Mathe-Prüfung gut bestanden - und ganz nebenbei: Das ist schon 37 Jahre her! 
Im Laufe meines langen Lebens bin ich also immer mal wieder durchgefallen. Das habe ich einem Freund erzählt, der lachen musste, denn er (Professor der Musikwissenschaften) fällt immer mal wieder im Traum durch die Führerscheinprüfung, die er im Alter von achtzehn Jahren auf Anhieb bestanden hatte. Er hat sich mit den Werken Sigmund Freuds beschäftigt und informierte mich, dass Leute, die träumen, dass sie durch Prüfungen fallen, im wirklichen Leben nicht durch Prüfungen fallen. Nachdem er mir das gesagt hatte, hatte ich den Traum nie mehr.
Aber heute Nacht hatte ich ihn wieder, ich wurde mal wieder in Mathematik geprüft, erstaunlicherweise in aktualisierter Version: Die Fragen standen nicht einfach auf einem weißen Blatt, sondern waren in Kästchen angeordnet wie bei einem Foto-Roman, in Farbe, mit viel Schnickschnack, viel Photoshop, modern eben. Wir Abiturienten saßen nicht an einzelnen Tischen über die Turnhalle verteilt, sondern nebeneinander. Ich wusste nichts, hatte mich gar nicht vorbereitet. Neben mir saß eine große, kräftige, blonde Russin (Diversität! Gab's damals auch nicht), die alles wusste und schnell fertig war. Ich versuchte, von ihr abzuschreiben. Sie erkannte meine Not und beantwortete ein paar Fragen/füllte mit ihrem dicken, braunen Filzstift ein paar Kästchen auf meinem Bogen aus. Ich bat sie, meinen Kugelschreiber zu benutzen und ihre Schrift ein bisschen zu verstellen, damit es nicht gar so auffällig war, dass sie geantwortet hatte. Es wurde ihr gleich langweilig und sie hörte auf, mir zu helfen. "Ich gebe dir tausend Euro, wenn du machst, dass ich das Abitur bestehe," sagte ich zu ihr. An dieser Stelle bin ich, glaube ich, aufgewacht. 
Durch die Erklärungen unseres Freundes damals war es mir ein Leichtes, diesen Traum zu interpretieren: Mein Gatte und ich haben ein für unsere Verhältnisse ziemlich großes Projekt mit einem gewissen finanziellen Risiko in Angriff genommen. Eine Bekannte hat Ähnliches unternommen und ist damit vorläufig auf die Schnauze gefallen, hat sie mir erzählt. Das Mathe-Abi ist das Symbol für das Projekt. Und natürlich denkt man, also ich, ich bin zu blöd, zu unfähig, um es durchzuziehen. Das ist das unvorbereitet sein. Es gibt jedoch Fachleute (die Russin!), die in der Lage sind, einen zu unterstützen. In der Wirklichkeit ist das natürlich nicht Spicken, sondern Leute für ihre Arbeit bezahlen, wie das ja auch im Traum am Ende war. So, das war der Traum und die Erklärung.
Und es ist ja auch normal, dass man sich, wenn man älter ist und Risiken eingeht, mehr Gedanken macht als wenn man jung ist, denn wenn man das ganze Leben noch vor sich hat, hat man viel Zeit, eventuelle Fehler wieder auszubügeln, Wenn man im reiferen Alter ist, hat man diese Zeit nicht mehr. Diesen Gedanken habe ich neulich hübsch formuliert in einem Roman aus dem neunzehnten Jahrhundert gelesen, bin jetzt aber zu faul, die Stelle herauszusuchen.