Donnerstag, 16. Februar 2012

Krise in Spanien: Dörfliches Idyll

Die Siedlung, in der sich unser Häuschen in Spanien befindet, ist eigentlich ein richtiges Dörfchen, wenngleich die ältesten Häuser erst dreissig Jahre alt sind. Es gibt eine Kirche, eine Kneipe, eine Apotheke ... und ein Lebensmittelgeschäft und das Lebensmittelgeschäft ist es, von dem ich Euch heute erzählen will. Es ist ein kleiner Laden, soll er mal 80-90 Quadratmeter haben, der sich bis vor etwa acht Jahren (schätz' ich jetzt mal so, es können auch zehn oder sieben gewesen sein) im Besitz einer tüchtigen Geschäftsfrau befand. E. und ihre Familie führten ihren Laden ausgezeichnet, zu ihrem Nutzen und zum Nutzen ihrer Kunden. Sie brachten den besten Fisch, gutes Fleisch und schöne Früchte vom Grossmarkt und es machte Spass, im Laufe des Vormittags zu ihrem Laden zu spazieren, dort mit ziemlicher Sicherheit Bekannte zu treffen, mit denen man ein bisschen schwatzen konnte, und sich von ihr beraten zu lassen. Wenn man nicht wusste, was man kochen sollte ... E. wusste immer Rat: "Schau mal, was für einen schönen Fisch ich habe!" oder "Warum machst du nicht mal eine gefüllte Hühnerbrust?" Wenn man nicht wusste, wie man etwas zubereiten sollte, erklärte sie es einem schnell. Man konnte sich die Einkäufe nach Hause bringen lassen, man konnte sogar anrufen und seine Bestellung durchgeben und bekam ruck zuck alles gebracht. 
Ein Jahr war unsere Siedlung an Sylvester eingeschneit. Im Laufe des 31. Dezembers hatte es angefangen zu schneien und nicht mehr aufgehört. Wer zu einer Party in die Stadt wollte, musste zuhause bleiben. E. liess an jenem Abend ihren Laden bis um 22 Uhr auf, damit man noch Sachen für eine Feier daheim kaufen konnte. So clever war sie, so gingen die Jahre ins Land. 
Natürlich kaufte ich nicht alles bei ihr, denn ihr Laden war nicht gerade billig. Um nicht zu sagen er war teuer. Ich kaufte also haltbare Sachen in einem grossen, recht weit entfernten Supermarkt und frische Sachen in unserem kleinen Lebensmittelgeschäft. 
Nun kam es aber so, dass der Fortschritt auch in unserer abgelegenen Gegend Einzug hielt. Ein grosser Supermarkt machte in der Nähe auf. Der Umsatz des Lädchens ging zurück und damit auch die Qualität der Waren. Einmal hatte ich eine halbfaule Paprika in meinem Einkaufskorb. "Was soll denn das?" fragte ich, "Warum hast du mir denn die gegeben?" "Soll ich sie selber essen?" war die Antwort. So etwas vergisst man nicht. Bald darauf bekam ich ein Pfund faule Erdbeeren. Danach ging ich kaum noch hin und schliesslich schloss der Supermarkt. Das war aber nicht weiter schlimm, denn mittlerweile hatten wir auch einen Aldi in der Nähe, dann kam ein Mercadona ... wir wurden von Supermärkten praktisch umzingelt. Gut.
Rasch mal hoch sprinten, wenn ein Ei fehlte, oder gemütlich hoch spazieren und ein frisches Brot kaufen, das gab es nicht mehr. Man kann nicht alles haben.
Nach kurzer Zeit übernahm eine andere Familie das Lebensmittelgeschäft: Die Mutter, eine Schwägerin der Mutter und der Sohn, der an der Kasse stand. Obwohl diese Leute nett waren und versuchten, E.'s Tradition fortzuführen, war es nicht dasselbe. E. hatte ihnen erzählt, dass man mit dem Lädchen viel Geld verdienen konnte - und das hatte auch lange Zeit gestimmt, aber diese Zeit war vorbei. Der Laden war meist leer, es machte keinen Spass mehr, dort zu kaufen. Die neue Familie tat, was sie konnte und machte den Laden dann wieder dicht. 
Dann kam eine Frau, die ich mal die Tussi nennen will, die sich ganz doll was einbildete, weil sie eine Geschäftsfrau war. Ich suchte den Laden immer seltener auf. Die Waren in den Regalen wurden auch immer weniger. Und weniger. Eines Tages sagte ich zur Tussi: "Warum machen Sie den Laden denn nicht einfach zu?" Sie erklärte mir, dass sie irgendeine Subvention zurückzahlen müsse, wenn sie den Laden nicht mindestens zwei Jahre hätte. Nach zwei Jahren schloss sie die Türen endgültig.
Dann kamen die Zahnlosen. Die Zahnlosen waren natürlich nicht wirklich völlig zahnlos, ich nenne sie nur so, um in meinem Gedächtnis Ordnung zu halten. Es handelte sich um einen Mann und eine Frau, denen je der eine oder andere Zahn fehlte. Sie hatten den Laden angeblich für ihren Sohn übernommen, damit der eine Beschäftigung hätte. Der wurde aber nie gesehen. Die Beiden waren so ungepflegt ... nachdem sie mir einmal mein Fleisch aufgeschnitten hatten, ging ich nicht mehr hin. Wie lang hatten die den Laden? Weiss nicht, ein paar Monate.
Dann kamen die Portugiesen. Ein Vater übernahm das Lebensmittelgeschäft, um seine vier arbeitslosen Kinder in Lohn und Brot zu bringen. Könnte mir eigentlich wurscht sein, aber eines der Kinder war ein guter Freund von einem meiner Kinder und ich wusste, dass es sich um sehr liebe Menschen handelte. Also kaufte ich wieder dort ein. Das Mädchen, das den Fisch filetieren sollte, hatte noch nie zuvor Fisch filetiert und Fisch kunstvoll filetieren kann man nicht in fünf Minuten lernen. Auch nicht in einer Woche. Macht nix, man muss ihnen halt Zeit geben. Ich versuchte, Reklame für den Laden zu machen, forderte Freunde auf, doch mal wieder dort einzukaufen. Eine Bekannte sagte: "Weisst du, ich will, dass die Leute so schnell wie möglich Pleite machen. E. knöpft ihnen für diese alten, heruntergekommenen Geschäftsräume jeden Monat 1200 Euro ab. Das gönne ich ihr nicht." Wow. So hatte ich die Sache noch nie betrachtet. Es machte aber Sinn, denn neben dem Supermarkt hatte sich einst ein Zeitschriftenladen befunden, den die Besitzerin auch geschlossen hatte, weil E. ihr horrende Mieten abverlangte. Nun steht er schon seit Jahren leer. Okay, von meiner Familie alleine konnten die Portugiesen auch nicht leben. In den Frischetheken lagen immer weniger Waren. Einmal kam ich hoch, da lagen nur ein Fisch, ein frisches Hähnchen und etwa ein Pfund Hackfleisch in den Fisch- und Fleischtheken. Echt. Hinter der Theke stand mit traurigem Gesicht die Mutter. Wenigstens dauerte die Agonie nicht sehr lange. Und zu. 
Dann war erst mal Ruh'. Gut. 
Ich hoffte, dass der Laden nicht wieder aufmachen würde, weil mir die Leute leidtun, die sich Hoffnungen machen und womöglich ihr Herzblut an das Geschäft hängen. Andere hofften, dass der Laden nicht wieder aufmachte, weil sie E. für eine unverschämte, unsägliche Abzockerin hielten und ihr die Mieteinnahmen nicht gönnten. Wie dem auch sei ... nach gut einem Jahr hat er wieder aufgemacht!!! Angeblich führen ihn jetzt Chinesen. Ich habe mir vorgenommen, nicht hinzugehen. Vielleicht sind es liebe Chinesen, die ich ins Herz schliessen würde und dann tut es mir leid, wenn sie in den Ruin getrieben werden. Das will ich mir ersparen. Aber auch wenn es unsympathische und unverschämte Chinesen sind, tun sie mir leid. Der Gedanke, dass sich Menschen Hoffnungen machen, sich voller Vorfreude in die Arbeit stürzen, weil ihnen jemand den Bären aufgebunden hat, dass mit dem alten Lädchen Geld zu verdienen sei ... 100 Euro Miete wären echt genug, Ihr müsstet mal den Zustand des Ladens sehen. Naja, jetzt bin ich erstmal in England, da kann es mir eh' egal sein. Am Anfang werden zumindest aus Neugier ein paar Leute hingehen. Eine Nachbarin sagte: "Die Chinesen können mit allem Geld verdienen." Ich meine, mit einem Laden, in dem niemand einkauft, können auch Chinesen kein Geld verdienen.

Freitag, 10. Februar 2012

Speed Dating

Wie Ihr wisst, befinde ich mich zurzeit in London. Gestern war ich in einem Laden und als ich an der Kasse bezahlte, fragte mich die Kassiererin, ob ich Lust hätte, an einem Speed Dating teilzunehmen. Ich wusste gar nicht, dass es das tatsächlich gibt. Ich kannte das nur aus amerikanischen Filmen: Je ein Mann und eine Frau (wenn es sich um Heten handelt) sitzen einander gegenüber und haben 10 Minuten Zeit, um sich ein bisschen kennenzulernen und um festzustellen, ob sie möglicherweise zu einander passen oder nicht. Dann wird zur nächsten Person gewechselt. Sehr, sehr interessant, gell? Wie hoch ist da wohl die Wahrscheinlichkeit, dass man auf einen Menschen trifft, der tatsächlich zu einem passt? Meine allgemeinen Beobachtungen im Leben haben mich (fast fünfzig) gelehrt, dass Männer deutlich weniger anspruchsvoll sind als Frauen. Männer wollen praktisch das Gleiche, was sie schon seit Anbeginn der Menschheit wollen. Seit man um's Feuer sass und Speerspitzen schnitzte, hat sich da nix geändert.
Frauen wollen jemanden, der ihnen zu hört. Ich, zumindest. Stellt Euch mal vor, man sitzt mit dem Typen beim Speed Dating und der steht auf und sagt: "Ich geh' mir mal schnell ein Bier holen. Red' du ruhig weiter, ich höre dich auch von der Theke aus." Nee, nee, nee. 
Persönliche Interessen: Er kann ruhig seltsame Hobbys haben, aber er muss sie alleine pflegen können. "Das Höchste für mich sind Geländemärsche bei rauem Wetter und ich freue mich schon, wenn du dann immer dabei bist."Oder: "Oh, was wird das schön, wenn wir dann jeden Samstag gemeinsam am Angelsee sitzen!" Nee, nee, nee.
Er muss denken, dass ich nett bin und ein wertvoller Mensch. Er muss mich gut finden. "Naja, die tut's" tät's bei mir nicht. 
Das sind, glaube ich, Sachen, die für alle Frauen gelten.
Ich hätte dann noch folgenden Wunsch: Bildung. Ich mag es, wenn Leute gescheit und gebildet sind. Ist für eine kurze Affäre natürlich nicht erforderlich, langfristig aber schon. Friedrich Nietzsche verstand die "Ehe als langes Gespräch", alles andere in einer Beziehung sei transitorisch, meinte er. Ich finde auch, dass man möglichst viel haben sollte, worüber man quatschen kann. 
Sonderpunkte gäb's, wenn jemand dasselbe Hobby hätte wie ich.
Aussehen: Mit dem Aussehen ist es so eine Sache. Man hat da bestimmte Vorstellungen, aber dann lernt man jemanden kennen, der völlig anders aussieht und der gefällt einem dann auch, z.B. weil er einem zuhört oder weil er einen wertschätzt. Und selbst ist man ja auch nicht gerade das Mass aller Dinge, zumindest ich nicht.
Kohle: Ob der andere Kohle hat oder nicht, finde ich nicht so wichtig, da ich anspruchslos bin und mich in der Lage sehe, selbst genug ranzuschaffen für das, was ich brauche. Im Leben geht es so oft auf und ab. Was nützt einem der grösste Reichtum, wenn man eine schlimme Krankheit bekommt oder sonst unglücklich ist?
Ach ja, das noch: Da ich selbst ein ziemlicher Trauerkloss bin, würde ich mich über einen fröhlichen Menschen freuen. 
Jeder hat halt andere Prioritäten. 
Hingegangen zum Speed Dating bin ich natürlich nicht. Ich weiss nicht, was mein Gatte dazu gesagt hätte.