Dienstag, 22. November 2011

Einer meiner kleinen Dämonen


Um was geht’s? Alllso. Wie Ihr wisst, haben wir ein paar Jahre in New York gelebt. Vorletzten Sommer flog ich für einen Besuch zurück. Dabei traf ich mich mit Freundinnen, unter anderem mit einer sehr lieben älteren Dame. Mit dieser Dame verabredete ich mich zum Lunch. Wir einigten uns darauf, uns vor einer französischen Brasserie an der Upper East Side (eine vornehme Gegend, in der sie wohnt) zu treffen und dort zu entscheiden, wo wir das Mittagessen einnehmen wollten. In besagtem Restaurant hatten wir schon öfter gegessen. Es hat eine angenehme Atmosphäre, ist ziemlich edel und gibt einem das Gefühl, man wäre wer.
So. Die Dame, ich will sie D. nennen (D. für Dame), und ich trafen uns vor der in Rede stehenden Wirtschaft. Sie schlug vor, zu einem nahe gelegenen Italiener zu gehen. Ich war dagegen. Ich wollte lieber in die Brasserie. Das Gefühl, man ist wer, ist schön und wenn man das Tagesmenü bestellt, ist es auch bezahlbar.
Ich fand das immer sooo abartig, wenn wir in New York zum Italiener gingen: die Leute bestellten sich einen Teller Nudel mit Sauce und ein Glas Wein und zahlten dafür ohne mit der Wimper zu zucken 40 Dollar. Echt hey. Erst einmal: Nudel mit Soß’ ist etwas, was ich auf den Tisch bringe, wenn ich es eilig habe oder wenn ich keine Lust habe, groß zu kochen. Mit Nudeln und Soß’ im Wert von 40 Dollar kann man ein ganzes Dorf speisen. In NY gibt es aber viele Damen, unter anderem auch D., die niemals kochen, die auch keine Nudeln in heißes Wasser schmeißen und eine warm gemachte Fertigsauce drüber schütten. „I don’t know how to cook, I know how to order out“, hat mir einmal eine Bekannte gesagt. Dieser Satz hat mich ein bisschen geschockt: „Ich kann nicht kochen, ich kann von Restaurants was kommen lassen.“ Für Leute, die praktisch täglich an der Kochfront stehen ... naja. Und dann der Wein ... ich bin kein Weinfan und für ein Glas Wein war man oft 15 Dollar los (alle Preise verstehen sich zuzüglich 20 % Tip (Trinkgeld, das man in USA geben muss, weil das Bedienpersonal davon lebt)). Da die Rechnungssumme immer durch die Anzahl der Personen geteilt wurde, trank ich auch Wein, ich musste ihn ja so oder so bezahlen. 1 Teller Nudel mit Sauce, 20 Dollar, plus 1 Glas Wein, 15 Dollar, zuzüglich 20 % Tip = 42 Dollar. Für einen Teller Nudel mit Soß’ (nee, da war kein Salat dabei). Da konnte man nur hoffen, dass es bei einem Glas Wein pro Person blieb.
Für dasselbe Geld konnten wir auch in der Brasserie das Tagesmenü haben und dazu ein Glas Mineralwasser trinken (trinke ich eh’ am liebsten).
Okay, D. erklärte sich mit der Brasserie einverstanden.
Ich wollte das Tagesmenü bestellen und gleich mal zu quatschen anfangen. „Das Tagesmenü???“ zierte sich D., die in diesem Laden ein und aus geht. „Och nee, wir bestellen lieber was Leckeres. Hast Du die Hummertörtchen schon mal probiert?“ Neben den Hummertörtchen stand keine Preisangabe, nur „Market Price“.  „Ich möchte eigentlich gerne das Tagesmenü“, sagte ich. Ich hatte zuvor in meinem ganzen Leben (damals 46 Jahre) noch nie in einem Restaurant etwas bestellt, neben dem „Market Price“ oder etwas Entsprechendes stand.
„Zwei Hummertörtchen“, rief sie dem Ober zu. Die Hummertörtchen waren superlecker und ich habe sie mittlerweile zuhause nachgebaut, davon gibt’s auch Fotos, irgendwann mal werde ich das Rezept vielleicht in den Blog stellen. Man macht sie in so einem Metallring, wie es jetzt Mode ist: zuerst eine Schicht Lachstartar, darauf eine Schicht Guacamole, darauf den Hummer in Stücken. Als ich das Ganze zuhause nachmachte, hatte ich drei Riesengarnelen oder irgend so was für 5 Personen, das war recht wenig. Ich glaube, in dem Laden in NY war wirklich ein halber Hummer drauf. Naja, so Gott will, zeige ich es Euch bei Gelegenheit.
„Dazu gehört ein schöner Weißwein“, erklärte D. und bestellte für jeden ein Glas.
Das billigste Hauptgericht war ein Angus-Beefburger mit karamelisierten Zwiebeln und Blue Cheese auf einem Brioche-Brötchen (so ist mir die ganze Geschichte wieder eingefallen, weil wir in London bei GKB (Gourmet Kitchen Burger) den gleichen Burger in einer 1000-mal besseren Variante gegessen haben. Der GKB-Burger war richtig gut (Preis um 10 Pfund).
Wir bestellten also beide den Burger: ein zierliches Brioche-Brötchen (vielleicht halb so groß wie ein normales), darauf ein niedliches Fleischklöpschen (100 g, wenn überhaupt), darauf eine mikroskopische Menge Blue Cheese, man musste schon genau hinschauen.
D. zitierte den Ober herbei. „Warum ist denn da so wenig Blue Cheese drauf?“
Der Ober entfernte sich mit ihrem Teller und kam nach einem Moment zurück. Die auf dem Fleischklöpschen befindliche Blue Cheese-Menge entsprach nun etwa einem Teelöffel.
„Dazu gehört ein schöner Rotwein“, erklärte D. und bestellte für jeden ein Glas.
„Ich sollte meinem Mann was zu Essen mitbringen“, sagte D. und bestellte noch einen Burger, der für ihren Mann eingepackt werden sollte.
Abschließend gelüstete es D. noch nach einem Capuccino und einem kleinen Plätzchenteller. Beides wurde auch prompt gebracht. Bei den Plätzchen handelte es sich nicht um amerikanische Cookies. Ich weiß nicht mehr, was es genau war, vielleicht Schwarzweißgebäck, Terrassen, Buttergebäck ... gewöhnliches deutsches Gebäck, Weihnachtsgebäck, das auf einer kleinen Etagere serviert wurde.
„Normalerweise gehören doch hausgemachte Marshmallows zu eurem Plätzchenteller, oder?“ fragte D. den Ober. Der Ober verschwand in der Küche und kam gleich darauf mit einem kleinen Teller mit hausgemachten Marshmallows zurück.
250 Dollar und ich ließ D. alles allein bezahlen.
Ich hatte angeboten zu bezahlen, schweren Herzens, denn 250 Dollar einfach so in die Tonne zu treten ... es ist schon Geld.
Das hatte D. auch rundheraus abgelehnt.
„Jeder die Hälfte“, bot ich an.
„Ich hatte doch auch den Burger für meinen Mann“, wand sie ein.
„Okay, then“, sagte ich schließlich und ließ sie allein bezahlen.
Und das verfolgt mich jetzt manchmal. Als wir da den guten Burger bei GBK aßen, musste ich wieder an die Geschichte denken.

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