Dienstag, 18. Juni 2013

Aus D.s Kindheit

Die bekannteste Geschichte aus Davids Kindheit ist diese hier:
Als die Kinder klein waren, hatten wir die Gewohnheit, nachmittags nach der Schule bzw. dem Kindergarten (Unterricht von halb vier bis fünf) mit anderen Kindern und Müttern in einen Park mit Spielplatz zu gehen, der etwa 15-20 langsame Gehminuten von der Schule entfernt lag.
David war 3 als sich diese Geschichte zutrug. 
Wir waren also auf dem Spielplatz, die Kinder spielten, die Mütter saßen mit den ganz Kleinen außen herum und unterhielten sich. Einmal schaute ich auf und sah meinen David nicht. Ich dachte mir nichts dabei. Er konnte in der Anlage um die Rutschbahn sein oder hinter einem Gebüsch oder in der Betonröhre, die eine Eisenbahn darstellen sollte. Nach einer Weile schaute ich wieder auf und sah ihn wieder nicht. Ich erhob mich und schaute in die Anlage um die Rutschbahn, in die Betonröhre ... ich fragte seinen Bruder: "Hast du David gesehen?", die Antwort: "Nein". Wir schauten uns nach D. um, M. fragte die anderen Kinder, ob sie ihn gesehen hätten. Keiner hatte ihn gesehen. Keiner wusste, wo er war. Eine unangenehme Situation. Keiner hatte ihn gesehen. Die Kinder begannen ihn zu suchen, riefen seinen Namen. Ich geriet langsam in Panik. Ich überlegte mir, wie lange man wohl suchen müsste, bevor man die Polizei informierte. 15 Minuten. Ich wollte eine Viertelstunde lang suchen und dann die Polizei benachrichtigen. Damals gab es noch keine Handys. Um den Park standen acht- oder zehnstöckige Häuser. Die Polizei müsste jede einzelne Wohnung durchsuchen. Jemand hielt mein Kind gefangen. Oder hatte es verschleppt. Mittlerweile war der ganze Spielplatz in heller Aufruhr. Ein Bub war verschwunden. Die Kinder liefen herum und riefen: "David!, David!", die Mütter hielten besorgt nach ihm Ausschau. 
Ich fand ihn schließlich selbst. Er stand ein paar Meter hinter der Bank, auf der ich gesessen hatte, in einem Fliedergebüsch, zwischen drei zusammengepflanzten Fliedersträuchern, in der Mitte, mit geschlossenen Augen, den Kopf in den Nacken gelegt, und atmete den Duft der Blüten ein. Da hätte die Welt um ihn herum untergehen können. Als ich ihn ansprach war es, als erwachte er aus einem Traum. Er hatte von dem Geschrei und der Suche nichts mitbekommen. Ein fokussierter Mensch.
Einmal gingen wir durch die Stadt, das war nur wenig später. Ein schmaler Streifen des Bürgersteigs war aufgegraben. David lief gebückt an der Grabung entlang und betrachtete die Leitungen. Schließlich endete die Straße und mündete in eine andere. Wir mussten links gehen, die Grabung verlief aber nach rechts. Ich blieb mit M. und P., der im Kinderwagen lag, stehen. "Mal sehen, was er jetzt macht," dachte ich mir. Immer noch in gebückter Haltung bog er nach rechts ab und folgte den Leitungen. "Mal sehen, wie lange es dauert, bevor er bemerkt, dass er alleine ist", dachte ich mir. Es war ihm wurscht. Da die Straße sehr belebt war, musste ich rennen, um ihn wieder einzuholen bzw. einzufangen. Ich schimpfte ihn nicht. Was hätte ich da schimpfen sollen. Ich forderte ihn nur auf, in Zukunft auf belebten Straßen bei seiner Mama zu bleiben. 
Einmal, ein paar Jahre später, war nachts ein schlimmes Gewitter. Seine Brüder waren aufgewacht und zu meinem Gatten und mir ins Schlafzimmer gekommen. Wir standen am Fenster (aber in sicherer Entfernung von selbigem) und schauten zu, wie es blitzte, wie die Nacht von grellem, weißem Licht zerrissen wurde. Die Donnerschläge waren so heftig, dass alles zu beben schien. Der Sturm zerrte an den Rollläden. Das Gewitter war direkt über uns. Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass ein Blitz in ein Haus in unserer Straße und ein anderer in unser gemeinschaftliches Schwimmbad eingeschlagen hatte. Ein Höllenspektakel. In jener Nacht hat in unserer Siedlung keiner geschlafen. Außer einem. Er beschwerte sich morgens, dass wir ihn nicht geweckt hätten, er hätte das Unwetter auch sehen wollen.
Und noch was: Wie Ihr wisst, haben wir die Kinder zweisprachig aufgezogen und achteten konsequent darauf, dass die Sprachen nicht gemischt wurden. Mit der Mama nur deutsch, mit dem Papa nur spanisch. Miteinander sprachen sie natürlich, wie sie wollten. So gab D. einmal seinem kleinen Bruder folgenden Rat: "Pon la Hand delante del Gesicht para que te haga Schatten." Er hätte auch umgedreht sagen können: "Halte die mano vor das cara, damit sie dir sombra macht." Haha. Kinder.

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