Donnerstag, 19. März 2015

Ich frage mich das wirklich...

also ganz ehrlich, ohne Ironie, Sarkasmus, Zynismus oder sonst irgendwas, sondern ganz nackt, echt und ehrlich. Hinleitung zur Frage: Wie Ihr wisst, arbeiten in Spanien viele der jungen Menschen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen, weit unter ihrer Qualifikation. Callcenter-Mitarbeiter sind Philologen, Soziologen oder Musikwissenschaftler, Gefängniswärter Volljuristen, die Schalterbeamten bei der Sparkasse, die die Sparbücher der Rentner aktualisieren, haben BWL und Jura studiert und einen Master in International Finance. Das ist so in Spanien. It's a fact. Ich sagte neulich zu meinem Gatten: "Wirklich nur Leute mit guten Beziehungen können ihre Kinder noch ordentlich unterbringen." "Nein, nicht einmal mehr die," antwortete mein Gatte und führte zwei Beispiele von Leuten mit guten Beziehungen an, deren erwachsene Kinder mit ihren Familien in Armut darben. Also, nur noch Leute mit sehr, sehr guten Beziehungen können ihre Kinder beruflich ordentlich unterbringen.   
2005 schrieb eine Frau einen Leserbrief an die größte spanische Zeitung "El País", in dem sie das von ihr erfundene Wort "Mileurista", deutsch wörtlich "Tausendeurist", verwendete, mit dem sie junge Menschen beschrieb, die hervorragend ausgebildet waren und dennoch Stellen hatten, auf denen sie nur tausend Euro verdienten. Dieses Wort ging sofort in den allgemeinen Wortschatz über, weil es so treffend war. Mittlerweile dürften viele ehemalige Mileuristas diese Zahl nur noch von unten betrachten. Tausend Euro sind mittlerweile ein gutes Gehalt. Nach der nächsten Austeritätsrunde werden die jungen Leute gar nicht mehr verstehen, was dieses Wort einst bedeutete und worüber sich die Mileuristas beklagten.
Ja, gut, ne? Und jetzt verlassen viele Menschen eben Spanien und versuchen, ihr Glück anderswo zu finden. Der ausgebildete Ingenieur z.B. als Kellner in England, dabei würde er in Deutschland als Fachkraft so händeringend gesucht (okay, der letzte Satzteil war jetzt ironisch gemeint, aber nur der!). Spanische Lehrerinnen in England als Putzfrauen. Die Leute nehmen so viel auf sich, um im Ausland das vermeintliche Glück zu finden... Und die Gastarbeiter z.B. in Deutschland in den Siebzigerjahren konnten Geld nach Hause schicken, die neuen Gastarbeiter brauchen manchmal sogar noch finanzielle Unterstützung aus ihren Heimatländern, um ihre Miete zu bezahlen.
So, und jetzt die Frage, die diesem Eintrag zugrunde liegt: Ist es nicht besser, sich mit dem zufrieden zu geben, was es in Spanien gibt, als zu versuchen, sein Glück draußen in der Welt zu finden? Der Pianist als Kellner, der Jurist als Bürogehilfe, die Pharmazeutin als Verkäuferin, die Ärztin als Gelegenheitsarbeiterin? Aber in der Nähe der Familie, mit spanischer Lebensqualität, in der eigenen Wohnung, die einem der Papa gekauft hat, der noch in der guten alten Zeit lebte, als man noch zu etwas kommen konnte, also so bis 2007? 
Mein Gatte meint: nööö. Und ich, ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.
Allerdings ist zu bedenken: Man weiß nie, wann der nächste Würgegriff kommt, weil die herrschende Kaste wieder Kohle braucht... wann die Löhne wieder gesenkt und die Steuern wieder erhöht werden...
Wenn man also sagt, gut, ich akzeptiere das, ich arbeite für 800 Euro. Aber dann hat man jeden Monat 100 Euro Stromrechnung, muss 130 Euro Hausbeitrag bezahlen und 100 Euro für irgendwelche Umlagen, z.B. für eine Aufzugrenovierung, und dann kommt noch ein Strafzettel über 200 Euro (bei den extremen Strafzetteln, die heutzutage in Spanien ausgestellt werden, scheint sich die Polizei nur noch über dieselben zu finanzieren) und dann wird's irgendwann eng. Und wenn dann die nächste staatliche Sparrunde kommt und man verdient nur noch 600 Euro und der Strom kostet 200 und die Heizung 300... und man muss ins Dorf seiner Väter ziehen und dort Ziegen züchten, um über die Runden zu kommen... akzeptiert man das dann immer noch? Ich meine, where does it end?????

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen