Mittwoch, 4. Mai 2016

Wie man Freunde verliert und sich Feinde macht

Naja, so dramatisch ist es jetzt auch wieder nicht, aber die Überschrift ist mir so eingefallen und da habe ich gedacht, schreibst's halt hin. Es ist mir wiiieder passiert, nach Jahren, und ich hole ganz weit aus, um Euch zu erzählen, was.
Als ich noch in der Schule war, kam dieses Buch heraus, "Die unendliche Geschichte", und da war diese Gruppe von Mitschülern, die cool waren (weiß gar nicht mehr, wie man das damals gesagt hat) und die das Buch lasen und darüber sprachen und die waren alle gescheit und das war so toll und ich hätte gerne auch dazu gehört. Aber das Buch war so uninteressant, so unendlich laaangweilig... und obwohl ich mich nicht einmal mehr an die Namen der Leutchen der Gruppe erinnere, sehe ich sie noch im Geiste vor mir, wie sie zusammen stehen. Ich habe das Buch nie zu Ende gelesen.
Und in meiner Studienzeit hatte ich eine Freundin, eine sehr gute Freundin, eine der besten Freundinnen, die ich je hatte, die gab mir erbauliche Bücher zu lesen. Eines davon war "Johannes" von Heinz Körner, wie ich durch Internet-Recherche feststellen konnte. In einem anderen ging es um einen gelähmten Menschen, der durch Liebe und die richtige Einstellung wieder gehen konnte. Trotz intensiver Suche kann ich nicht feststellen, wie letzteres Buch hieß. Ich sagte zu meiner Freundin, ich fände diese Bücher nicht nur schlecht, ich fände sie ärgerlich und beleidigend schlecht. Ich glaube, da hat unsere Freundschaft den ersten Sprung bekommen. Ich hätte schweigen sollen, weiß ich jetzt im Nachhinein.
Und dann, als diese erbaulichen Präsentationen im Internet modern wurden und einem den Posteingang füllten, schöne Fotos von Wasserfällen und Sonnenuntergängen, Wüsten und Landschaften im Schnee, und dazu "Geh deinen Weg und du wirst deine Bestimmung erreichen", "Niemand kann dir etwas eröffnen, was nicht schon im Dämmern deines Wissens schlummert ", "Ich bin, heute und hier im Sein" und was es da sonst noch für Kacke gibt, ich will da jetzt gar keine Autoren nennen. Und ich sagte zu meinen Freundinnen: "Bitte schreibt mir nur, wenn ihr mir etwas mitteilen wollt." Das kam ganz schlecht an. Das war keine gute Idee. 
Ich wollte doch immer ein tiefgründiger, feinsinniger Schöngeist sein, ehrlich, echt. Echt!!!
Und als dann das WhatsApp aufkam... und ich bin jetzt in diesen WhatsApp-Gruppen, da ist es wieder passiert. Ich nehme diese ganzen erbaulichen Sachen hin, kommentarlos, aber letztens - und ich kann Euch sogar genau sagen, wann es war, nämlich an Cervantes' 400. Todestag - kam wieder so ein Text... Oh, wie sinnig, oh, wie schön, antworteten die Leser, aber eine Freundin schrieb, dieser Text sei gar nicht von Cervantes. Und ich schrieb: "Das habe ich mir gleich gedacht. Dieses dümmliche, esoterische Gewäsch sieht eher nach Paulo Coelho aus." Und das war wieder ganz, ganz falsch. Gott sei Dank sind wir jetzt in einem Alter, in dem man über so etwas hinweg sieht, sonst hätte ich wieder Freunde verloren. Aber Leute, liebe Leser, über Paulo Coelho nichts, es sei denn, es wäre etwas Gutes. Ich denke insbesondere an junge Menschen, die vielleicht mit dem Asperger-Syndrom behaftet sind und nicht wissen, wie wichtig den Tiefgründigen ihre tiefen Gründe sind. Seid vorsichtig!!! Im Zweifel wenn möglich Mund halten, falls dies nicht möglich sein sollte, "wie schön" oder Vergleichbares sagen.
Andererseits: Wenn mein späterer Gatte so gehandelt hätte, hätte ich ihn nie näher kennengelernt, ich bin nämlich, wie ich an anderer Stelle schon erzählt habe, nämlich hier, im Rahmen einer Gedichtinterpretation auf ihn aufmerksam geworden und wenn er nicht sein wahres Ich gezeigt hätte, wäre nie etwas aus uns geworden.
Da fällt mir eine andere Episode aus unserem Leben ein: Versetzt Euch in das Jahr 1986. Ich schleppte meinen späteren Gatten ins Kino, den Film "Momo" anschauen. An einer besonders berührenden Stelle (ich kann mich nicht mehr an die Handlung erinnern) machte er plötzlich seltsame Geräusche. Weinte er? Hatte er Schnupfen? Was war denn das für ein seltsames Grunzen? Ich schaute zu ihm hin. Er konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken. Da wurde mir bewusst, was das alles doch für ein Kitsch war und ich begann auch zu kichern. Daraufhin platzte es aus ihm heraus und er lachte laut und ich auch, wir lachten schallend und störten den weihevollen Moment. Die Mütter, die mit ihren Kindern da waren, drehten sich um und machten "Pssst!" und wir mussten mit Tränen in den Augen den Saal verlassen. Es war die fehlende Tiefe, die ihn in meinen Augen so attraktiv machte...
(Gut, dass das hier niemand liest, sonst würden sich meine Leser enttäuscht von mir abwenden, obwohl ich gerade mit meinem ganzen Sein hier im Jetzt bin, auf dem Weg zu meiner Bestimmung im Tau meines Wissens, äh, Wesens, oder?)

1 Kommentar:

  1. das hast du sehr schön geschrieben und mit mühen. aber ich lese immer als stiller "teilhaber mit" :-P und finde deine seite wirklich toll - dafür das du mir so tiefe einblicke gibst möchte ich dir danken :-)

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