Dienstag, 15. Oktober 2019

Japan

Ich gerate in den Rückstand! Also, vorgestern: Wir fuhren zur Uni, wo mein Gatte den Vortrag hätte halten sollen, wenn nicht der Taifun in den Weg gekommen wäre. Unser U-Bahn-Experte holte uns ab. Er ist ein sehr lieber Mensch und kümmert sich rührend um uns. Der Campus liegt etwas ausserhalb. Tokio ist riesig. Eineinhalb Stunden Anfahrt für die Studenten sind nicht ungewöhnlich, manche fahren sogar zwei Stunden, wurde uns gesagt. Um ein Haar hätte man wieder von der Bahn aus ganz kurz den Fujiyama sehen können. Ich glaube, ich habe ihn sogar gesehen. Obendrauf war kein Schnee. "Ist es dieser Berg? Ist es dieser Berg?" rief ich aufgeregt und versuchte ein Foto zu machen, was mir natürlich nicht gelang, "Ja," sagte unser Begleiter von der Uni, aber ich habe mittlerweile festgestellt, dass der Japaner zum Ja-Sagen neigt, egal, was die richtige Antwort ist (das kann problematisch sein, wenn man zum Beispiel fragt: "Ist das die richtige Bahn?" Das ist uns gestern passiert. Dazu später mehr (hoffentlich)). 
Nach unserer Ankunft assen wir erstmal gut und reichlich zu mittag, dann wurde uns die Universität gezeigt. Was einem vor allem auffällt: Wie sauber und gepflegt hier alles ist. In der Uni glänzt der Boden... sogar in der U-Bahn glänzt der Boden, nirgendwo Müll, kein Graffiti. Der Professor zeigte uns auch den Saal, in dem mein Gatte den Vortrag gehalten hätte, wenn der Taifun nicht gekommen wäre, und führte uns die wunderbare Akustik vor, indem er Chormusik -vom Band, hätte ich fast geschrieben, hahaha - indem er Chormusik irgendwie laufen liess. "Diese Musik erinnert mich an einen Chor, den ich vor fast zwanzig Jahren in Salamanca gehört habe," sagte ich. "Das eine Lied war so schön, dass ich mich bis heute daran erinnere. Es hiess "Furusato"," sagte ich. "War es dieses?" sagte der Herr und spielte es ab. Er war damals der Dirigent gewesen. Die Welt ist echt ein Dorf. Ich bin diesem japanischen Herrn vor fast zwanzig Jahren schon einmal in Spanien über den Weg gelaufen. Hier könnt Ihr das Lied hören: Furusato. Furusato heisst kleines Dorf. Das ist doch für ihn als Hobby-Dirigent ein Riesenkompliment, oder? Dass sich jemand zwanzig Jahre später noch an seinen Auftritt erinnert?
Wie ging es weiter? Nachdem wir die Uni gesehen hatten, sollten wir mit N. in ihrem Auto zu einem Restaurant zu einem ganz besonderen Abendessen fahren. Ich hatte das Mittagessen noch nicht verdaut. "Mein Auto ist sehr klein," entschuldigte sie sich. "Na, so klein wird es schon nicht sein," sagte mein Gatte. Eine Weile später fing sie wieder an: "Mein Auto ist sehr, sehr klein." "Wir werden sicher reinpassen," entgegnete mein Gatte. Eine Viertelstunde später: "Mein Auto ist wirklich ganz, ganz klein, es ist nur wenig grösser als ein Spielzeugauto." Mein Gatte tröstete sie wieder. Ich sagte leise zu ihm: "Es gibt doch da sicher gewisse Normen, ein Auto darf doch sicher gar nicht kleiner als x sein." Ich stellte mir vor, wie wir aneinander gepresst mit gebeugtem Kopf, gekrümmtem Rücken und angezogenen Knien in diesem Winzling sitzen würden. Es stellte sich dann heraus, dass es sich um einen ganz normalen Kleinwagen handelte.
Wir fuhren dann also zu diesem Restaurant... der Garten war unfassbar schön. Ich habe zig Fotos gemacht, wenn wir wieder zuhause sind, lade ich ein paar hoch. Alles, was man sich in seinen Träumen von japanischen Gärten ausmalt, gemixt mit einer gehörigen Portion "cozy places", hier war es. Dazu ein paar mega-niedliche kleine Mädchen in Kimonos... "cute" ist ein englisches Wort, das die Japanerinnen beherrschen, auch wenn sie sonst kein Englisch können.
Wir hatten einen eigenen, mit Papiertüren abgetrennten Raum, wo uns ein Gang nach dem anderen serviert wurde und alles war so herrlich angerichtet, in kleinen Schüsselchen, Döschen mit Deckel, Schälchen, und so lecker. Es war ein kulinarisches Erlebnis.
Anschliessend fuhr uns N. wieder in ihrem Kleinwagen zum Bahnhof. Alles gut.
Gestern machten mein Gatte und ich einen Ausflug nach Kamakura. Wir fuhren mit der JR-Line und stiegen in Kita-Kamakura aus, das war richtig. Wir schauten uns drei Tempel an, die dort im Wald stehen.
Diese Tempel in japanischen Gärten sind so schön. Sie strahlen eine grosse Ruhe aus, insbesondere nach der Hektik der Stadt. Echt zen. Das eine war, wenn ich mich recht erinnere, sogar tatsächlich ein Zen-Kloster. Ich werde zum gegebenen Zeitpunkt ein paar Fotos hochladen. Nach dem dritten Kloster stand noch eine riesige Buddha-Statue in einem Ort in der Nähe auf dem Programm. Dafür musste man zuerst in den Ort Kamakura gelangen und dann von dort weiter mit einem anderen Bus. Wir trafen auf drei Spanier mit einem Privatführer, der sie fragte, ob sie ins Dorf laufen oder mit dem Bus fahren wollten, zu Fuss seien es zehn Minuten. Die Spanier entscheiden sich für das Zu-Fuss-Gehen. Wir hatten aber vorher sagen hören, dass es eine halbe Stunde Fussmarsch war und weil man ja zum Buddha auch noch ein Stück laufen musste, entschieden wir uns für den Bus. An der Haltestelle war natürlich alles auf japanisch beschriftet. Wir versuchten uns mit der App, die Bilder übersetzt, zu behelfen. Inzwischen kam eine Frau, die auch mit dem Bus fahren wollte. Sie konnte kein Wort Englisch. Sie war trotzdem bereit, sich mit uns mit Händen und Füssen zu verständigen und zu beratschlagen, ob der nächste Bus wohl bald käme und für uns der richtige wäre. Wir haben bisher noch kein Mal Google Translate verwendet. Es ging immer auch so. Die Japaner sind ziemlich gutwillig, das muss man ihnen lassen.
Wir stiegen also in den nächsten Bus und es war der richtige, er fuhr nach Kamakura, und wir hatten Glück, dass wir nicht gelaufen waren, die Strecke war nämlich viel länger als gedacht.
Beim Aussteigen hatte ich ein schönes Erlebnis: Ich liess einer sehr alten Frau von dieser gekrümmten, o-beinigen Sorte, von dieser von einem langen Leben gebeugten japanischen Sorte den Vortritt und sagte dazu:  "Hai doso". Das hatte ich am Tag zuvor gelernt. Es bedeutet "Nach Ihnen". Das fand sie derartig witzig, noch im Weitergehen draussen lachte sie. Seitdem nutze ich jede sich bietende Gelegenheit, um mein "Hai doso" (stimmhaftes s, die o's ein bisschen wie ö's) an den Mann zu bringen.
Es stellte sich heraus, dass Kamakura ein durch und durch touristisches Dorf ist, mit einem Laden am anderen und dazwischen massenhaft Fressbuden. Da wir mittlerweile ziemlichen Hunger hatten, wagten wir uns in eines dieser Restaurants mit Laufband mit Sushi-Tellerchen. Fotos und Erläuterungen folgen (hoffentlich). Wir hatten uns erst nicht hineingetraut. Ausserhalb von Tokio sprechen die Leute anscheinend kein Englisch. Wie sollten wir denn wissen, wie wir uns verhalten  und zu unserem Essen kommen sollen? Die Leute hier sind super hilfreich, man braucht gar keine Bedenken haben. Alles klappte wunderbar.
Draussen, vor einem Süsswarenstand war eine lange Schlange junger Menschen. Wir reihten uns ein und kauften uns zum Nachtisch auch das, was alle begehrten (Stäbchen, auf denen Kügelchen aus dieser Reispuddingmasse steckten). Dann stellte sich die Frage: Zum Grossen Buddha (11 Meter soundsoviel hoch, glaube ich) oder den Zug zurück nach Tokio nehmen und in Yokohama aussteigen und diese Stadt anschauen? Da unser religiöser und spiritueller Bedarf für den Tag gedeckt war, entschieden wir uns für die Yokohama-Variante. Da der Tag nur vierundzwanzig Stunden hat, hatten wir dort nicht so viel Zeit. Wir verliessen den Bahnhof durch das sehr grosszügig gebaute Nissan-Gebäude, in dem Autos und Motoren usw. vorgestellt wurden. (War das wirklich Nissan? Kann auch eine andere Automarke gewesen sein.) Wir gelangten in ein supermodernes, sorgfältig gebautes Stadtviertel mit tiefergelegten Strassen, bzw. höher gelegten Fussgängerwegen, vielen tollen Geschäften, schicken Hochhäusern, Cafés, einem grossen Museum. Also, die Gegend, Minato Mirai 21, sah seeehr einladend ein für jemanden, der gezwungen ist, in einer Grossstadt zu leben bzw. der dies freiwillig möchte. Wir liefen immer gerade aus und gelangten zu einem Vergnügungsviertel, das wie ein Rummelplatz war. Dort gab es auch ein riesiges, riesiges, riesiges Riesenrad. Ich habe gerade nachgeschaut: Es ist das grösste der Welt und 112 Meter hoch. In der Mitte ist eine digitale Zeitanzeige angebracht. Eine Umdrehung dauert 15 Minuten und kostet umgerechnet 7,20 Euro (800 Yen). Wir sind in Japan, Leute, wer hätte das gedacht??? Wir fuhren also eine Runde Riesenrad und machten uns dann auf den Weg zurück zum Bahnhof und in unser Hotel in Tokio. Morgen geht es weiter mit meiner Erzählung vom heutigen Tag (morgens Stadtrundfahrt, nachmittags hat mein Gatte endlich einen Vortrag gehalten, anschliessend Abendessen mit der Truppe vom Vortrag. Waaasss? wurden wir gefragt. Ihr habt den Grossen Buddha nicht gesehen? Was, ihr habt die Chinatown von Yokohama nicht gesehen? Und in Kyoto nicht den silbernen und den goldenen Buddha??? Nööö, haben wir alles nicht gesehen. Haben wir nicht geschafft in der Zeit, die uns zur Verfügung stand, wir sind aber trotzdem mit unserer Reise bisher voll zufrieden.). Leute, wir sind in Japan, wer hätte das gedacht???

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