Montag, 21. Oktober 2019

Seoul

Wir sind in Seoul, in Korea, wer hätte das gedacht - und wenn der Vortrag nicht wäre, wären wir auch niemals hierhergekommen. Wir wussten vorher nichts über diese Stadt und über Korea - und wir waren total überrascht, wie modern hier alles ist. Es ist anders als in Japan, man merkt den Unterschied deutlich. Das erste, was mir auffiel, waren die Gasmasken auf dem Flughafen und in der U-Bahnstation. Seoul liegt nur 50 oder 60 Kilometer von Nordkorea entfernt! Der Flughafen, die Bahn usw., das ist alles sehr modern. Die vielen Wolkenkratzer! Die breiten Strassen! Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll mit erzählen, es ist einfach zu viel. Und zwischen diesen Wolkenkratzern fliesst ein kleiner, sauberer, gepflegter Fluss mit schönen Bäumen am Ufer, hübsch und romantisch. Uns standen ja nur zwei Tage zur Verfügung, trotzdem versuchten wir, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, so weit wie möglich abzuarbeiten. Am ersten Tag gerieten wir auf dieser sehr breiten Prachtstrasse, die sie hier haben, mit einer grossen Statue des Erfinders ihres Alphabets in der Mitte, in eine Demonstration. Die Demonstranten waren Menschen mittleren Alters und älter. Sie trugen koreanische und amerikanische Fähnchen und Anstecker mit der koreanischen und amerikanischen Flagge. Ein Mädchen, das schlecht Englisch sprach, erklärte mir im grossen Lärm, worum es ging. Es war ein Protest gegen den Präsidenten, es demonstrierten aber auch Leute für den Präsidenten. Zurück im Hotel fragten wir den Portier, der leidlich Englisch spricht, worum es geht. Er erzählte uns dasselbe, wir haben es aber, wie gesagt, nicht kapiert, wir haben nämlich gar keine Ahnung, was in diesem Land los ist. Aber was hatte es mit den amerikanischen und koreanischen Fähnchen auf sich? Hatten die nicht einen Krieg, wo sie gegen einander gekämpft haben? Der Korea-Krieg, waren das nicht Amerikaner gegen Koreaner? Von unserer völligen Ahnungslosigkeit verwirrt, machten wir uns auf in das Museum für koreanische Geschichte der Gegenwart, das sich gegenüber von diesem einen grossen Palast befindet, auf dessen Namen ich mich nicht mehr besinne, dem am Ende der Prachtstrasse. (Er heisst Gyeongbokgung, wie konnte ich das vergessen?)
Dieses Museum war sehr, sehr interessant und dadurch, dass nicht alles in Englisch beschriftet ist, ist es auch schnell angeschaut. Für Besucher, die gar nichts über Korea wissen, ist es sehr zu empfehlen. Also, der Korea-Krieg war nicht Amerikaner gegen Koreaner. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Korea in zwei Teile geteilt worden, und zwar in einen kommunistischen Norden, wo die Russen Einfluss hatten, und den Süden, unter dem Einfluss der Amerikaner, ähnlich der BRD und der DDR. Hier geschah es aber, dass der Norden Anfang der Fünfzigerjahre mit Unterstützung der Russen und auch der Chinesen den Süden überfiel, quasi so, als hätte die DDR die BRD angegriffen. Die USA unterstützten den Süden, es ging ein paar Mal hin und her und am Ende verfestigte sich das System, wie wir es heute kennen, mit der strengen Grenze in der Mitte. Die Südkoreaner sind den USA also dankbar, dass sie sie davor bewahrt haben, so verarmt wie der Norden zu enden, deshalb diese gemeinsamen Fähnchen. Falls der Norden und der Süden eines Tages wieder vereinigt werden... ich glaube nicht, dass dann die Renten der erste Gedanke sein werden. So, wie ich das hier sehe, wie geschäftig die hier sind, die vielen Läden, die vielen, vielen kleinen Werkstätten in dem Stadtteil, in dem sich unser Hotel befindet... die werden in den Norden rasen und dort ihre Betriebe aufbauen. Wir können uns von Europa aus wirklich gar nicht vorstellen, was hier los ist. Samsung, Hyundai, Kia, LG, das sind alles koreanische Firmen.  
Und sie lieben klassische Musik. Im Taxi lief ein Klassik-Sender. Als die U-Bahn einfuhr, erklang ein Jingle als käme die Kavallerie, wir waren so überrascht, dass wir lachen mussten. Der Kanon von Pachelbel läuft 24/7 in verschiedenen Varianten. Mal gespannt, wie lange es dauert, bis wir Schuberts Ave Maria hören, dachte ich mir. Lange musste ich nicht warten, es begleitete am zweiten Tag unser Frühstück. 
Was noch? Apropos modern: Unser Hotel ist so mittelklasse (75 Euro die Nacht), aber es hat einen kleinen Bildschirm für die Domotik. Da es bei uns so etwas noch nicht gibt, kennen wir uns damit nicht aus. Es war aber gestern aus unerfindlichen Gründen sehr warm in unserem Zimmer. Draussen war es viel kühler, auf dem Hotelflur war es kühler. Wir versuchten, auf dem Touchscreen die Klimaanlage auf eine niedrigere Temperatur zu stellen, was uns auch gelang, dennoch wurde es im Zimmer nicht kühler. War die Klimaanlage so leise, dass man sie nicht hörte? Wir sind laut ratternde Klimaanlagen gewöhnt, da weiss man wenigstens, dass sie laufen. Wir hatten 21 Grad eingestellt, im Zimmer hatte es 28. Was tun? Wir griffen schliesslich zum radikalsten aller Mittel und öffneten das Fenster.


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