Samstag, 21. April 2012

Die Hamstersaga geht weiter

Gilbert vorgestern beim Fressen von Knuspermüsli
Wie hier zu lesen, ging vor ziemlich genau einem Jahr unser Zwerghamster Rousseau von uns, dessen Ankunft ich hier beschrieben hatte. Wir waren natürlich alle ziemlich traurig, besonders mein Sohn P., sein Besitzer und Pfleger. Nun geschah es aber, dass ihm wenige Stunden nach Rousseaus Tod ein Freund einen neuen Hamster brachte. Mein Sohn war entsetzt, er wollte erst einmal um den alten trauern, aber der Freund hatte es ja gut gemeint und wir rechneten ihm seine Tat hoch an. P. erklärte, dass er sich zwar um den neuen Hamster kümmern würde, dass er ihn aber nicht in sein Herz schließen würde, denn dieser Platz war noch besetzt. Ich frage Euch: Wie kann man das oben abgebildete Tier nicht lieben??? Angesichts der - kurz dauernden - Weigerung meines Sohnes gewann ich das Tier besonders lieb, denn es ist nicht nur supersüß, es tat mir auch noch leid. 
So kam also "der neue Hamster" in unsere Familie. Zuerst die Namenssuche: Meinem Gatten gefiel passend zu Rousseau Voltaire, aber ich fand es nicht sehr passend, dass unsere Familie jedesmal, wenn sie die Namen der frankophonen Giganten hört, an Zwerghamster denkt. P.s Freundin hätte ihren Familienhund, wenn man auf sie gehört hätte, Gilbert genannt. Also war dieser Name frei. Bis mein Gatte uns informierte, dass ihm dieser Name nicht gefiele, weil einer seiner Arbeitskollegen so hieße, war es schon zu spät.
Gilbert ist von allen dsungarischen Zwerghamstern, die wir bisher gehabt haben (drei), der beste und liebste. Er ist zutraulich, spielt gerne mit Menschen und gibt sogar Küsschen. Er entpuppte sich zum Liebling der ganzen Familie. Sein Käfig steht im Fernsehzimmer und während wir fernsehen, spielen wir mit ihm.
Er war noch nicht lange bei uns, da zeigte er eine große, rote Geschwulst an seinem linken Bein, die echt bedrohlich aussah. Noch ein Hamsterverlust innerhalb so kurzer Zeit schien schwer erträglich. 
P. war an jenem Tag aus irgendwelchen Gründen, an die ich mich nicht mehr erinnere, nicht da. Ich schnappte mir den Käfig und brachte Gilbert zu unserem Tierarzt, einem riesigen Hundefan, der unseren Schäferhund betreut hatte. Ich saß etwa eine Stunde im vollen Wartezimmer, den kleinen Käfig auf meinen Knien, bis ich endlich ins Behandlungszimmer gerufen wurde. "Wir behandeln nur Hunde", erklärte mir die Helferin dort. Warum hatte sie mir das denn nicht vorher gesagt? Hatte sie gedacht, in dem winzigen Häuschen im kleinen Käfig befände sich ein Hund??? Sie hatte mich doch eine Stunde lang im Wartezimmer sitzen sehen! 
"Tier ist Tier," sagte ich, und bat, der Herr Doktor möge sich das Beinchen doch wenigstens einmal ansehen.
Sie gab mir die Anschrift eines Tierarztes in der Stadt, der auch exotische Tiere behandelte. Dieser Herr befand sich jedoch auf einem Kongress. Ich rief mehrere andere Tierärzte an, aber keiner behandelte Hamster. In einer Praxis erhielt ich jedoch die Nummer eines Arztes in einem anderen Dorf, der Tiere aller Art behandelte. Ich rief dort an. Dieser Arzt operierte gerade einen Hund, danach hätte er für uns Zeit. Mein Gatte fuhr mich in das benachbarte Dorf. Leute, die Praxis war so dreckig ... nicht Dritte-Welt-dreckig oder deutschen-Hygienestandards-nicht-genügend-dreckig, sondern ... verdreckt: offene Medizinfläschchen, gebrauchtes Verbandsmaterial, Blut ... Der Arzt war aber bereit, Gilbert zu untersuchen. Er betrachtete sein Beinchen und sagte, da könne man nichts sagen. Dann solle er eben röntgen, forderte ich ihn auf. "Hamster werden nicht geröntgt", erklärte er mir. Dann solle er das Beinchen eben schienen, forderte ich ihn auf. "Hamsterbeinchen kann man nicht schienen", erklärte er mir. Sein abschließendes Urteil war, dass Gilberts Zustand nicht bedrohlich sei und dass wir einfach abwarten sollten. Dafür wollte er kein Geld nehmen. Ich bedankte mich herzlich und verließ die Praxis, indem ich die Türklinge ganz vorsichtig mit zwei Fingern anfasste.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Gilbert sich wieder erholte. Sein Beinchen wurde wieder gut, aber nicht wie zuvor. 
Er machte uns also weiter Freude, bis wir vor wenigen Wochen eine gleiche Geschwulst an seinem anderen Beinchen entdeckten. Nein, nicht schon wieder! Wenige Tage später entdeckte sein Besitzer, dass sein winziges Füßchen begonnen hatte, sich schwarz zu färben. Wir forschten im Internet: Gangrän, Wundbrand, das würde seinen Tod bedeuten. Wir bereiteten uns geistig darauf vor. Das ganze Tier wiegt gerade mal dreißig Gramm, lange wird es nicht aushalten können. Wenn er abends nicht aus seinem Häuschen kam, steckten wir den Finger hinein, um zu prüfen, ob er noch lebte. Erstaunlicherweise vergingen mehrere Tage, das Schwarze an seinem Beinchen breitete sich aus, aber er lebte immer noch. Wir sprachen über Sterbehilfe. Sollte man ihm ein wenig Rattengift verabreichen, um seinem Leid ein Ende zu bereiten? Meine Familie war gegen diesen Vorschlag. Sollte man ihn an einem starken Medikament für Menschen knappern lassen? Auch diese Idee, ihm einen guten Tod zu bereiten, wurde abgelehnt.
Eines abends - die anderen waren schon im Bett, ich saß noch vor dem Fernseher - kam er aus seinem Häuschen, saß im Käfig und knapperte heftig an seinem betroffenen Füßchen. Ich fühlte, dass er litt und holte ihn heraus. In seinem Unterschenkel schien ein großer Splitter zu stecken. Ich wollte den Splitter herausziehen (ich hoffe jetzt mal, dass dies keiner liest, ich muss es einfach loswerden), aber ich glaube, es war gar kein Splitter, es war der halbe Unterschenkelknochen, der in einem Winkel von 45º abstand. Oh Gott. Ich habe keine Ahnung von Anatomie, aber ich denke, dass Hamster als Säugetiere auch zwei Unterschenkelknochen haben. Das herausstehende Stück war etwa einen halben Zentimeter lang und einen halben Millimeter dick. Das konnte so nicht bleiben. Ich wollte das Beinchen mit etwas Heftpflaster schienen, checkte jedoch vorher im Internet: Offene Brüche beim Hund auf gar keinen Fall schienen! stand da und als wichtigste Empfehlung: Nerven behalten! Warum soll man offene Brüche denn nicht schienen? Ich hätte gedacht, das wäre wichtig, damit der Knochen nicht noch weiter auseinander geht. Ich verstehe von solchen Dingen gar nichts. Da saß ich nun also mit dem Hamster. Ratlos. Der Hamster schien jammernde Geräusche zu machen. Das Knochenstück konnte nicht so bleiben, auch nicht eine Nacht. 
Ich habe eine ganz gute Nagelschere. Das Beinchen war eh schon schwarz und unbrauchbar. Ich holte die Nagelschere und zwickte das Knochenstückchen so weit unten wie möglich ab. In dieser Nacht würde er also sterben, dachte ich, als ich selbst zu Bett ging.
Am Morgen lebte er noch. Ich überlegte, ihn zum Tierarzt zu bringen, der könnte das Beinchen ordentlich amputieren. Lernen die Studenten der Veterinärmedizin überhaupt, wie man Hamster behandelt? Eine Bekannte von uns ist Kardiologin für Hunde, ungelogen. Ich wies meinen Sohn noch einmal darauf hin, dass mit dem baldigen Tod unseres geliebten Haustiers zu rechnen sei. P. begann darauf hin, Gilbert mit Knuspermüsli zu füttern, das er normalerweise wegen des Zuckergehalts nicht bekommt. Er sollte wenigstens noch einmal etwas Leckeres fressen. Und dann warteten wir. 
Das ist jetzt schon ein paar Tage her und er lebt immer noch. Heute früh sah er sogar ein bisschen besser aus. P. hat den Käfig schon eine Weile nicht mehr sauber gemacht, weil das für das Tier eine Riesenarbeit und ein Stress ist, denn er richtet danach immer wieder alles nach seinem Geschmack ein: er zerfetzt das Papier von der Küchenrolle und die Watte, die einfach so in seinen Käfig gelegt werden, und räumt sie in sein Häuschen und verteilt die Streu nach seinem Geschmack, er hat dann also richtig was zu tun. Heute wird mal wieder saubergemacht. Hoffentlich erholt er sich wieder.       

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