Donnerstag, 23. August 2018

Der fünfte und der sechste und der siebte Tag in Kolumbien - Pereira

Sooo. Wo soll ich anfangen? So viele Eindrücke... Wir sind den ganzen Tag mit den Freunden zusammen und es wird gequatscht und herumspaziert und besichtigt und gefuttert, ich habe gar keine Zeit nachzudenken und die Erlebnisse zu sortieren. Heute waren wir auf einer Kaffeeplantage. Von der Stadt ohne Sehenswürdigkeiten aus ging es eineinhalb Stunden in die Berge, in die Anden, und was sahen wir dort gleich als erstes auf dem Parkplatz? Ein riesiges Wohnmobil aus Altötting. Ohne Scheiss. Ich begrüsste die Besitzer mit den Worten: "So abgelegen kann ein Ort gar nicht sein, dass man dort keine Deutschen trifft!" Hahaha. Es war ein nettes Rentnerehepaar auf Weltreise. Sie waren seit drei Jahren in Südamerika unterwegs. 
Auf der Plantage hatten wir eine Führung, die war recht lehrreich und unterhaltsam. Dann ging es in der Dunkelheit zurück nach Pereira. Ich kann jedem, der nicht gerne andere Menschen tot fährt, nur eindringlich davon abraten, hier Auto zu fahren. Bitte bedenkt, dass es hier schon um halbsieben dunkel ist. Auf stockfinsteren Landstrassen sind dunkel gekleidete Radfahrer ohne jede Beleuchtung unterwegs. Auch auf der Autobahn rasen sie gern mal  mitten auf der rechten Spur bergab, die Radler. Bergauf lassen sie sich dann von einem Lkw ziehen. Wir haben beobachtet, wie junge Leute (ohne Fahrrad) an Kreuzungen hinten auf Lastwagen gesprungen sind. Hammer, was man hier alles sieht. 
Auf einer Strasse in der Stadt, in Pereira, stand einer und schnüffelte Klebstoff aus einer Tüte. Von dieser Sucht hatte ich schon gehört, hatte aber den tatsächlichen Vorgang noch nie beobachtet. Überhaupt, was sich hier alles an Ampeln abspielt! Wir sahen einen jungen Mann, auf dessen Schultern ein junger Mann stand, auf dessen Schultern noch einer stand, und alle drei jonglierten! Alles mögliche wird einem an Ampeln verkauft. Venezolaner, deren Geld ja im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr wert ist, also gar nichts, bieten einem ihre Geldscheine an: "Geben Sie mir einfach irgendwas dafür." Man gibt ihnen ein paar Cents für Scheine, mit denen man bis vor Kurzem noch richtig was kaufen konnte. Ts. 
Was war heute noch alles? Ich habe endlich mal wieder mein Haar gewaschen, also nach vier Tagen. Hier im Haus gibt es nur kaltes fliessendes Wasser. Man denkt, ach, ja, in den Tropen, wo die Temperatur dreissig Grad beträgt, da kommt bestimmt auch das Wasser so warm aus der Leitung. Falsch gedacht. Es kommt genau so kalt aus der Leitung wie bei uns in Spanien. Zum Duschen geht es ja gerade noch. Husch, husch, da ist man wenigstens schnell fertig. Aber zum Haare waschen? A. hatte mir angeboten, mir Wasser warm zu machen, wie sie es auch für die fast neunzigjährige Oma tut, aber ich hatte abgelehnt, weil ich nicht als Weichei dastehen wollte. Aber dann hatte ich Angst, dass ich ohnmächtig werde, wenn ich so viel eiskaltes Wasser über meinen Kopf laufen lasse, oder dass das Shampoo unter diesen Bedingungen nicht richtig schäumt und das Haar fettig bleibt und die ganze Tortur umsonst ist, also bat ich sie heute früh doch um ein wenig warmes Wasser. Sie machte auf dem Herd zwei grosse Töpfe voll heiss und schüttete sie dann in eine Tonne, wo sie mit kaltem Wasser vermischt wurden. Mit einer kleinen Schüssel schöpfte ich das Wasser über mich. Das klappte ganz gut, mein Haar ist wieder sauber. Der Rest von mir war sowieso sehr sauber, da wir am Tag zuvor im Thermalbad von Santa Rosa gewesen waren. Die Termales sind ein Traum: Man sitzt in 40 Grad warmem Wasser und schaut einem 95 Meter hohen Wasserfall in mitten von sattgrünen Urwaldhügeln beim Fallen zu. Wenn man möchte, kann man sich zwischendurch auch unter diesem Wasserfall abkühlen. Pa-ra-die-sisch. Aber auch hier: etwas schwierig hinzukommen. Nach der Anreise von Pereira aus geht es noch drei Kilometer auf Waldwegen durch den Wald und dann muss man noch ein Stück laufen. Überraschenderweise sind trotzdem viele Besucher dort. Dieser Ort ist absolut empfehlenswert und eine richtige Sehenswürdigkeit. Wenn man so etwas in Deutschland hätte, das wäre eine Sensation!
Was muss ich Euch noch alles erzählen? Von wie wir die Schule besichtigt haben und wie es hier sonst noch so ist. Von unserem Besuch bei Yesica und ihrer Familie. Ihr kleines Mädchen ist das Patenkind von meinem Sohn und seiner Freundin. Und dann noch von der Innenstadt von Pereira und von wie wir im Kino waren. Wir haben uns den neuen "Misión Imposible" mit Tom Cruise angeschaut. Der ist tatsächlich sehr unterhaltsam. Fun Fact: Amerikanische Filme werden für Spanien und Lateinamerika einzeln synchronisiert, ebenso wie Serien, z.B. die Simpsons, die gibt es in spanischem und in lateinamerikanischem Spanisch. Wieder witzig: Yesicas Gatte arbeitet bei der Stadtverwaltung, das hatte man uns vorher erzählt. Zwecks Smalltalk fragten wir ihn, ob er beim "Ayuntamiento" arbeite, so heisst Stadtverwaltung auf Spanisch. Nein, antwortete er. Das überraschte uns. Er arbeite bei der "Alcaldía" fuhr er fort, dem Bürgermeisteramt. So nennen sie das hier.
"¿Qué más?" bedeutet in Spanien "Was noch?" Hier bedeutet es "Wie geht's?" Mein Gatte erzählte die Anekdote von einem kolumbianischen Professor, der in Spanien zu Besuch war und zu einem Kellner sagte "Regálame un whiskey". Darauf bekam er eine heftige Abfuhr. In Spanien bedeutet der Satz "Schenk mir einen Whiskey", in Kolumbien bedeutet er "Schenk mir einen Whiskey ein", hahaha. Das Problemchen ist hier, dass man ja nicht weiss, dass man nicht weiss; dass dem einen nicht bewusst ist, dass er etwas Unangemessenes sagt, und dass dem anderen nicht bewusst ist, dass der eine das eigentlich gar nicht sagen will. Hahaha, oder? Und da wir gerade beim Thema Kulturarbeit sind: Der Roman "María" scheint in Kolumbien eine ähnliche Bedeutung zu haben wie in Deutschland "Die Leiden des jungen Werther". Gebildete Leute haben ihn alle gelesen, er gehört in der Schule zur Pflichtlektüre. Der Inhalt gilt als wahr und autobiographisch. Mein Sohn schockte seine Arbeitskollegen in Cali, die ihm die Fahrt zur im anderen Blogeintrag beschriebenen Finca empfohlen hatten, damit, dass er ihnen erzählte, dass María mehr oder weniger frei erfunden sei, dass wir das im Internet herausgefunden hätten. Daraufhin begannen seine Kollegen, ebenfalls wild nach der Geschichte zu googeln. Das hat er mir heute erzählt. Schade, dass "María" auf Deutsch nicht in einer richtig guten Übersetzung vorliegt. 

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