Mittwoch, 29. August 2018

Tage zehn und elf - immer noch in Cartagena de Indias - ah, our lonely planet

Tag zehn: Morgens versuchten wir, einen Ausflug zur Insel Barú einschliesslich Schnorcheln zu machen, wir waren leider zu spät, deshalb haben wir den Ausflug heute gemacht. Mein Gatte war bei der Delphin-Show, während es mir gar nicht gut ging, aber dazu später mehr. 
Also, was gestern war: Morgens gingen wir an den Strand (statt Ausflug). Wenn ich heute ersoffen wäre, hätte sich mein Leben dadurch, dass wir gestern das Schiff verpasst haben, um einen Tag verlängert. Think about it.
Als wir vom Strand genug hatten, gingen wir ins Hotel. Während wir uns duschten, ging ein Gewitter mit Starkregen nieder. Wir assen im Hotelkomplex, typisch kolumbianisch, Reis, gebratene Banane, Schwedensalat und Fleisch oder Fisch, das ist hier das übliche. Nach dem Regen machten wir einen Spaziergang durch das Millionärsviertel. Die Hochhäuser sind alle weiss und ordentlich, uniformierte Dienstmädchen führen Yorkshireterrier spazieren. Auf den Strassen stand das Wasser teilweise dreissig Zentimeter hoch. Den Abend verbrachten wir auf der Sunset-Terrasse des Hotels im Infinity-Pool. Ja. Die Sonne geht so um halb sieben unter, aber es ist immer zu diesig für einen erstklassigen Sonnenuntergang. Man kann in der Dunkelheit im Pool Richtung beleuchtete Altstadt schwimmen, das ist ziemlich... geil, oder so.
Und dann kam der heutige Tag. Ich möchte nicht noch mehr schlechtes Karma auf mich ziehen, ich bin echt ein bisschen ängstlich geworden. Aber der Reihe nach. Wir hatten schon gestern den Ausflug zu dieser traumhaften Insel Barú gebucht, die in den Reiseführern top gelistet ist. Um acht Uhr fünfzehn holte uns ein Bus/ein klappriger Bus ab und wir fuhren zu dem Hafen, wo die Ausflugsboote ablegen. Dort mussten wir erst einmal ewig in der Sonne rumstehen, aber so hatten wir Gelegenheit, Mitreisende kennenzulernen, nämlich ein nettes, junges, argentinisches Ehepaar. Wir warteten und warteten, dann wurden wir von den Argentiniern getrennt, weil wir verschiedenfarbige Armbändchen hatten.
Wir bestiegen unser Schiff. Wir sassen ungefähr eine halbe Stunde im schaukelnden Boot in der prallen Tropensonne und warteten, bis alle fünfzig Plätze besetzt waren. Dann ging es los. Das Boot fuhr am Flottenstützpunkt und an den Industriehafenanlagen vorbei aufs offene Meer. Das war recht interessant. Diese riesigen Containerschiffe! Der helle Wahnsinn.
So, weiter ging's. Ich sass am Bootsrand, Steuerbord oder Backbord oder irgendsowas. Neben mir sass ein steinalter Peruaner, der mit seiner Gattin und seiner Tochter unterwegs war. Ich schätzte ihn auf neunzig oder fast neunzig. Er war in diesem Alter, in dem die Haut auf der Nase schon dünn wird und spannt, auf seiner peruanischen Adlernase. Der fährt bestimmt nicht zum Schnorcheln, dachte ich. Doch, er fuhr zum Schnorcheln. Mein Gatte stieg eine Haltestelle früher aus, auf einer kleinen Insel, wo es ein Delphinarium mit Delphinshow etc. gab. Mein Sohn und ich fuhren weiter zum Schnorcheln, worauf ich mich sehr gefreut hatte. Ich hatte sogar meinen Schnorchel und die Taucherbrille aus Spanien mitgebracht. Das Boot hielt schliesslich mitten im Ozean, in geringer Entfernung von einer Insel. Es waren noch mehr Schnorchelgruppen unterwegs. 
"Gute Schwimmer springen zuerst rein," sagte der Führer. 
"Wie kommt man denn wieder raus?" fragte ich, denn ich sah keine Leiter am Boot. 
"Da gibt es eine Plattform," antwortete er. 
Da ich mich zu den guten Schwimmern zähle, sprang ich als eine der ersten hinein. Ich landete im Wasser und mir war schlecht. Es ist nicht so, dass mir schlecht wurde, mir war sofort schlecht. Einmal hoch mit den Wellen und einmal runter und ich war verzweifelt. Der Führer hatte empfohlen eine Rettungsweste anzuziehen, aber ich hatte aus oben genanntem Grund darauf verzichtet. Die Wellen waren hoch, mir war zum Kotzen. Ich rief nach einer Rettungsweste, die im Wasser anzuziehen nicht gerade einfach war. Mein Sohn war in meiner Nähe, ich setzte ihn von meinem traurigen Zustand in Kenntnis. Wir riefen dem Kapitän zu, er solle bitte in meiner Tasche die Reisekaugummis suchen, in meiner Reisetasche, in der sich natürlich auch meine Unterwäsche befand, und mir einen zuwerfen. Meinem Sohn gelang es, ihm den Kaugummi aus der Hand zu nehmen. Ich steckte ihn rasch in den Mund. Nicht umsonst steht auf der Packung, dass man ihn eine halbe Stunde vor Reiseantritt kauen soll. Die Wellen hoben und senkten mich. Eigentlich sollten am Boden Korallen sein, da waren aber keine. Ich weiss allerdings nicht, wie genau Korallen definiert sind, vielleicht waren die braunen Steine am Boden ja Korallen. Wenn man sich auf grosse Steine stellte, hatte man Boden unter den Füssen, aber aufgrund des starken Wellengangs konnte man sich nicht halten. An einer Stelle klemmte ich meinen Fuss zwischen zwei Steine, um stehenbleiben zu können, aber die Wellen hoben und senkten mich weiter und mir war üüübel. Ausserdem bekam ich Angst, meinen Fuss nicht mehr herauszubringen. 
Das Schnorcheln war auch für Nichtschwimmer und Kinder ab fünf empfohlen worden. Es ist ein Wunder, dass wir alle heil wieder nach Hause kamen. Die Nichtschwimmer hielten sich an Rettungsreifen fest, die von den Führern hin- und hergezogen wurden, wir waren nicht die einzige Schnorchelgruppe. In meiner Verzweiflung hielt ich mich am Rettungsreifen von zwei Mädchen fest und entschuldigte mich bei ihnen. Unsere Gruppe hatte sich mittlerweile entfernt, ich befand mich mitten in einer anderen Gruppe. Ihr Führer war ein kleiner, dünner Schwarzer, der fest auf einem Stein zu stehen schien. Ich hielt mich an ihm fest, unter heftigen Entschuldigungen, und suchte auf dem Meer nach meiner Gruppe. Mein Sohn winkte und rief, ob er kommen sollte. Er hatte mich schon vermisst. Ich wollte ihn nicht belästigen und ihm den Ausflug nicht vermiesen und schrie nein, mich am kleinen, dünnen Schwarzen festklammernd. Er kam trotzdem mich holen und gemeinsam schwammen wir Richtung Boot, das sich gerade anschickte, den Platz zu wechseln. Mein Sohn schrie, jemand pfiff schrill, da pfiff ich auch, denn ich wollte nicht, dass das Schiff weiter weg fährt und wir ihm hinterher schwimmen müssen. Der Rest der Gruppe war auch schon fast beim Schiff. Niemand bat darum, ein bisschen länger schnorcheln zu dürfen. 
Da türmte sich also nun die Schiffswand vor uns auf und, wie vermutet, war da keine Leiter und auch nichts Leiterähnliches. Die ersten Personen wurden von einem schmächtigen, jungen Matrosen (schwarze Haut, hellblaue Augen) hochgezogen, ich war am Ende meiner Kraft.  
"Du kannst mich nicht hochziehen," sagte ich zum Matrosen. "Ich bin dick und mir ist super schlecht!" 
"Doch, doch, ich kann jeden hochziehen," antwortete er. "Stell' den Fuss auf die Plattform," sagte er. Die Plattform war ein winziges Rändchen entlang des Schiffsrumpfes, vielleicht eineinhalb oder zwei Zentimeter breit, darauf sollte man ein Bein stellen und sich hochstemmen. Unmöglich, logisch. Ich versuchte zu tun, was er gesagt hatte, schaffte es auch so halbwegs, aber da war nichts, wo man sich oben gescheit festhalten konnte und ich plumpste wieder ins Wasser zurück. Über das Schämen war ich zu diesem Zeitpunkt bereits hinaus. Ich versuchte es noch einmal und schaffte es. Der Matrose zog mich über die Schiffskante wie einen bewusstlosen Wal. Mein Sohn erzählte später, er hätte sich auf den Rücken gelegt und mit den Beinen meinen Hintern hochgeschoben. Ich fragte ihn, ob die anderen Schnorchler nicht geguckt und gelacht hätten. Er antwortete mir nein, die wären alle mit sich selbst beschäftigt gewesen. Da war ich nun also im Boot und es war mir immer noch sooo schlecht. Ich schleppte mich wieder in die Richtung meines Platzes, sank aber vorher nieder, neben der Gattin des alten Peruaners. Sie war sehr nett und kümmerte sich rührend um mich. "Atmen Sie ruhig und tief," sagte sie. Ich fragte, ob sie Ärztin sei und sie antwortete, sie sei Lehrerin gewesen. Wir fuhren zur nächsten Haltestelle, wo mein Gatte zustieg. "Die Delphinshow war toll," verkündete er. "Ich habe schöne Bilder gemacht. Wollt ihr sie sehen?"
Ich hing stumm und elend in meinem Sitz und wollte die Bilder nicht sehen. 
Die Peruanerin machte mir vor, wie man ruhig und tief atmet. Es war nicht einfach, ihrer Anweisung zu folgen. Die Luft war nämlich grottenschlecht durch die vielen Boote, die ihren Motor laufen liessen. Und es war nicht dieser frische Duft von Benzin, den man an Tankstellen ganz gerne riecht, es war der fürchterliche Gestank von Abgasen, den junge Menschen vielleicht gar nicht mehr kennen. Es roch wie vor fünfzig Jahren an einer stark befahrenen Kreuzung in einer Grossstadt, es roch wie kurz vor der Kohlenmonoxyd-Vergiftung. Das ist der typische Karibik-Duft. (Kann man sich eigentlich noch mit Autoabgasen umbringen, jetzt, wo es diese ganzen Katalysatoren gibt? Naja, egal.)
Das Boot schaukelte eine halbe Stunde in der Sonne, bevor alle Besucher des Delphinariums wieder zurück waren. Ich kaute noch einen Reisekaugummi. Dann fuhr das Boot zurück zum berühmten weissen Strand der Insel Barú. Der Strand sieht haargenau so aus wie der Strand auf Postern von der Karibik. Das Wasser ist völlig klar, der Sand weiss und so weiter. Hinter dem schmalen Strand steht eine geschlossene Reihe von Karibikbüdchen - möchtegern Karibikbüdchen hätte ich fast geschrieben, aber die sind hier ja nicht möchtegern, es sind die Originale. Es gibt Hostels und natürlich Wirtschaften ohne Ende. Das Mittagessen war im Preis des Ausflugs inbegriffen. Ich dachte, vielleicht tut es mir gut, wenn ich etwas esse. Es war das typische Essen: Reis, gebratene Banane, Schwedensalat und den Fisch, der vor Ort massenhaft gefangen wird. Es ist nicht sehr viel dran an diesem Fisch, er wird frittiert serviert. Dazu gab es Limonade. Ich brachte fast nichts runter. Wir sassen mit einer Familie aus Pereira am Tisch. Die Frau erzählte, ihr sei auch im Wasser sofort schlecht geworden. Nach dem Essen mieteten wir uns in einem der Büdchen eine riesige, bettartige Liege, wo ich sofort einschlief. Ich glaube, das lag an den zwei Reisekaugummis hintereinander.  
Auch an diesem Strand roch es wie fünf Minuten vor Smog-Alarm.
Nach einer Weile begann es, ganz leicht zu regnen. Wir lagen unter dem Sonnenschirm, nur unsere Waden wurden nass. Das war ein schönes Gefühl in dieser Hitze, denn das Meer ist dreissig Grad warm und bietet keine Abkühlung. Die kühlen Regentropfen auf der heissen Haut, das war das Schönste am Ausflug, darin waren wir uns einig. 
Anschliessend ging es mit dem Boot zurück nach Cartagena. Der Kapitän raste eine Stunde lang wie eine gesengte Sau, das Wasser spritzte rechts und links hoch, die Fahrgäste waren völlig durchweicht. Gut, dass er vorher darauf hingewiesen hatte, dass man sein Handy in Sicherheit bringen sollte. Dem alten Peruaner, neben dem ich auf dem Rückweg wieder sass, reichte es irgendwann und er pfiff sehr  laut und schrill. Er war das auch gewesen, der auf der Schnorcheltour gepfiffen hatte. Er konnte gellend pfeifen, ohne die Finger zu Hilfe zu nehmen. Anschliessend lachte er leise vor sich hin, da natürlich niemand dachte, dass er das gewesen war.
Klatschnass kamen wir im Hafen an. Der Reiseleiter forderte uns mehrfach auf, ihm Trinkgeld zu geben. Ich beobachtete, wie viel Geld er nach dieser Tour/Tortur tatsächlich von seinen Kunden bekam. Ein Kind gab ihm zweitausend Pesos, das sind sechzig - Pfennige, wollte ich gerade schreiben, hahaha, sechzig Cents meine ich natürlich. Ich habe mich immer noch nicht zu 100% von der Übelkeit erholt. 
Mein Gatte sagte: "Die Tatsache, dass weder Amerikaner noch Europäer am Ausflug teilnahmen, hätte uns zu denken geben müssen." Hätte, hätte, Fahrradkette, kann ich da nur sagen. 
Abends gönnten wir uns ein Essen in einem etwas gehobenen Restaurant. 

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