Montag, 20. August 2018

Der vierte Tag in Kolumbien

So, weiter mit unserem vierten Tag in Kolumbien: Wir standen zeitig auf und liessen uns ein Taxi kommen, um zum Cristo Rey zu fahren. Das ist eine grosse Christus-Statue, die auf einem Berg ausserhalb der Stadt steht und von der aus man einen schönen, umfassenden Blick auf selbige hat. Leider war der Tag etwas diesig. Oben auf dem Berg standen natürlich wieder massenhaft Stände, wo Andenken wie kleine Lederwaren sowie Speisen verkauft wurden. Es gab unter vielem anderem appetitlich aussehende gegrillte Würste und Maiskolben mit riesigen Körnern. Einer der Führer dort oben hörte meinen Gatten und meinen Sohn spanisch sprechen und begrüsste sie mit den Worten: “Hola, tío, la hostía”, was sehr ordinär ist. Wenn die Kolumbianer die Spanier nachahmen, vergreifen sie sich völlig im Ton, unser Führer gestern auch. Es ist stimmt, dass die Spanier viel gewöhnlicher sind, aber doch nicht so! Und vor allen Dingen nicht Fremden gegenüber! Es ist, als würde ein Schweizer einem Deutschen “Hallo, Alter, Scheisse” sagen, weil er das für typisch deutsch hält. Ts.
Nach dem Besuch des Berges ging es rasch wieder zurück zum Hotel, wo uns unsere Freunde und die Schwiegereltern meines Sohnes abholen wollten. Unser Sohn hatte eigentlich mitfahren wollen, aber sein Arbeitgeber in Cali setzte zwei Besprechungen für die Zeit an, in der er eigentlich in Pereira sein wollte. Er hat sogar ein Flugticket von Pereira nach Cartagena, das jetzt verfallen wird, und er muss sich ein neues Ticket von Cali nach Cartagena kaufen. Naja, kommt vor.
A. und J. kamen also nach Cali, um uns abzuholen. Die Fahrt dauert gut dreieineinhalb Stunden. Vor der Abfahrt gingen wir noch in einem Restaurant essen, welches uns der Führer vom Vortag empfohlen hatte. Das Ambiente war modern, die Gerichte typisch, der Preis mit 10 Euro hoch, etwa doppelt so hoch wie angemessen. Dennoch war das Lokal voll und viele Leute warteten draussen auf einen Tisch.
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns von unserem Sohn und machten uns mit unseren Freunden auf den Weg. Von Cali nach Pereira fährt man auf einer guten Autobahn mit vielen baumbestandenen Abschnitten, auf denen man unter einem richtigen Blätterdach reist. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist aus unerfindlichen Gründen an vielen Stellen sehr niedrig, zum Beispiel 60. Ich würde Europäern nicht empfehlen, in Kolumbien ein Auto zu mieten, nicht um ihrer selbst willen, sondern den Einheimischen zuliebe. Man ist es einfach nicht gewöhnt, auf so viele Mopedfahrer von allen Seiten zu achten, und man würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn man ein Kind umfährt, das auf dem Mittelstreifen Drachen steigen lässt und dabei unvorsichtigerweise auf die Fahrbahn läuft.
An mehreren Stellen gab es Polizeikontrollen. Wir wurden einmal angehalten. Der Polizist gab J. die Hand, schaute in den Wagen und fragte, wo wir herkämen. J. sagte: “Aus Cali,” dann durften wir weiterfahren. J. erzählte uns, diese Kontrollen würden unter anderem der Überwachung der Venezolaner dienen, die aufgrund der wirtschaftlichen Katastrophe in ihrem eigenen Land zahlreich nach Kolumbien strömen, und die kolumbianische Regierung will wissen, wo sie sich aufhalten und was sie so treiben. In Cali haben wir zwei gesehen, die wie wohlhabende Bankangestellte aussahen. Sie stellten sich an einer roten Ampel mit einem Plakat vor die Autos. Auf dem Plakat stand: “Wir sind Venezolaner, helft uns! Wir haben nichts zu essen und keine Medikamente.” Ich weiss nicht, ob sie auf ihre Situation aufmerksam machen wollten oder ob sie in ihren Markenhosen und Polohemden betteln wollten. Durch ihr entschiedenes Auftreten und ihre aufrechte Körperhaltung unterschieden sie sich stark von den gewöhnlichen Bettlern hier. 
Unterwegs wollte A. an einem Aussichtspunkt anhalten. J. sagte: “Dort vorn ist er.” A. entgegnete: “Das kann nicht sein, dort sind doch gar keine Stände.” Hahaha. Am richtigen Aussichtspunkt waren dann natürlich auch wieder Stände.
Als wir in Pereira ankamen, war es schon dunkel. A. und J. leben in einem volkstümlichen Viertel. Mein Gatte, mein Sohn und J. hatten ausgemacht, dass wir nicht bei ihnen, sondern in einem Hotel in der Innenstadt übernachten würden. Sie hatten die Frauen aber nicht von ihrer Übereinkunft in Kenntnis gesetzt, sodass A. und ich vereinbarten, dass wir zwei Tage bei ihnen und zwei Tage in einem Hotel übernachten würden. Unsere jeweiligen Kinder bearbeiteten uns ebenfalls, wir sollten doch in der Innenstadt übernachten, wobei ich gar nicht weiss, ob es in dieser sehenswürdigkeitenfreien Stadt überhaupt eine Innenstadt gibt. Es gab also eine ziemliche Verwirrung, denn einerseits wollten wir A. und J. nicht dadurch beleidigen, dass wir nicht bei ihnen übernachten, immerhin sind wir ja gute Freunde, andererseits wollten wir auch keine Last sein. Unsere Kinder trugen zur Verwirrung bei, indem sie behaupteten, es sei zu laut, weil die ganze Nacht irgendwo Musik spielte, und es würde viel zu früh hell im Zimmer. Lange Rede, kurzer Sinn: wir sind bei A. und J. und liegen im Bett ihres jüngsten Sohnes, der in einem anderen Raum in einem Stockbett schläft. Ob es früh hell geworden ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich mal wieder um vier aufgewacht bin - da war es noch dunkel - und mich, wie ihr seht, mit dem Computer beschäftige. Ausserdem hängt vor dem Fenster ein Vorhang. Ts. Die Musik spielte den ganzen Abend sehr laut, weil auf der anderen Strassenseite, in vier oder fünf Meter Entfernung, ein Geburtstag gefeiert wurde. Und wenn die Musik zwischen zwei Liedern verstummte, hörte man, dass auch noch aus einem anderen Haus Musik drang. Was heisst, die Musik drang aus dem Haus, beim Geburtstag gegenüber standen die Boxen vor der Tür auf der Strasse. Da wir müde waren, schliefen wir trotzdem sofort ein. Als ich aufwachte, war völlige Ruhe, nicht einmal Autoverkehr war zu hören, nur die Uhr hier im Zimmer tickt ziemlich laut und ein paarmal krähte ein Hahn. Jetzt hört man draussen Mopeds fahren.
Im Haus wohnen A. und J. und ihr jüngster Sohn sowie die Oma, die wir schon in Spanien kennengelernt haben. Die Oma ist eine sehr, sehr zierliche Person, die zahllose Nachkommen hat. Das Gerücht, dass sie bereits Ururgrossmutter ist, ist jedoch falsch. Sie ist weit über achtzig. Sie war traurig, dass mein Sohn nicht dabei war, denn sie hat ihn ins Herz geschlossen. Wir brachten die Geschenke mit, die er für sie geplant hatte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen