Freitag, 27. März 2020

Der Schreck

Also, vor zwei Tagen bereits erwähnt, jetzt erzähle ich Euch, worin der Schreck bestand: Also. Irgendwann letzte Woche bemerkte ich, dass ich ganz, ganz leichte Hals... beschwerden ist ein zu großes Wort, Schmerzen sowieso, ein ganz leichtes ungutes Gefühl im Hals hatte. Auf einer Skala von 0 bis 5 der Halsbeschwerden war es eine 1 bis 1,5. Zum Hüsteln und zum trockenen Hals neige ich sowieso, das liegt in der Familie, das hatte schon meine Großmutter, seligen Angedenkens. Selbstverständlich erzählte ich niemandem davon und machte mir auch keine Gedanken. Ich passte nur ein bisschen auf, dass es nicht schlimmer wurde und es wurde nicht schlimmer. Am Freitag oder Samstag - ich beobachtete das alles nicht so genau, darum weiß ich es nicht - setzte Appetitlosigkeit ein. Da ich zu denen gehöre, bei denen nicht jedes Gramm Gewichtsverlust Anlass zu Sorge gibt, war mir das auch egal. 
Am Samstag war mein Gatte etwas antriebslos, am Sonntag ein bisschen depre, das hatte ich an entsprechender Stelle schon erwähnt. Ich führte das darauf zurück, dass er nicht zur Arbeit gehen und keinen Sport treiben konnte, zwei Sachen, die ihm sehr wichtig sind. Im Laufe des Sonntag wurde seine Stimme immer schwächer. Am Montag morgen begrüßte er mich mit den Worten: "Ich habe es." "So ein Quatsch," antwortete ich. "Wir sind seit 9 Tagen in Quarantäne." Dabei war mir aber durchaus bewusst, dass ich am Tag zuvor gehört hatte, dass ein Auftreten der Symptome nach 9 Tagen normal ist, obwohl man hier in Spanien hauptsächlich von 3, 4 oder 5 Tagen gehört hatte.
Ich fasste seine Stirn an, sie war kühl. "Fühl mal hier," sagte er und deutete auf die andere Seite seiner Stirn. Die war warm. Ich erschrak zu Tode. "Raus, raus, sofort raus hier," schrie ich. Wir waren zu diesem Zeitpunkt noch im Bett.
Ich packte sein Bettzeug und trug es zum Zimmer meines jüngsten Sohnes. Ich hatte nämlich gelesen, dass man erkrankte Personen möglichst in einem Zimmer mit Bad isolieren soll und das Zimmer meines jüngsten Sohnes verfügt, genau wie unser gemeinsames Schlafzimmer, über ein eigenes Bad. Völlig hysterisch begannen wir, Sachen aus dem einen Zimmer raus und in das andere Zimmer hinein zu tragen. Dann schloss sich die Tür hinter ihm. Ich wollte natürlich auch nicht mehr in unser gemeinsames Schlafzimmer zurückkehren und trug meine Sachen in das Zimmer meines mittleren Sohnes. Jetzt waren drei Schlafzimmer verseucht. 
Seine Symptome hatten in leichtem Halsweh und Fieber in zwei Nächten bestanden. Ich behauptete, er hätte während der Nächte kein Fieber gehabt, er behauptete, ich hätte wie ein Stein geschlafen und es nicht bemerkt. 
Okay, ich ging in die Küche, um ihm einen Tee zu kochen. Viel warme Getränke zu sich nehmen, das ist auch so eine der Empfehlungen. 75 % Tee, 25 % Milch, dann war die Tasse zu voll und ich bemerkte, dass ich sie abtrinken wollte, wir teilen unsere Viren. Ich schüttete in diesem Fall also ein bisschen Milchtee weg und brachte ihm den Rest bzw. stellte die Tasse vor die Türe. 
Ich erinnere mich nicht mehr, was dann als nächstes geschah. Mein Gatte war zumindest fürs Erste weggesperrt. 
Im Laufe des Nachmittags bekam ich eiskalte Hände und Füße, mein Gesicht fühlte sich heiß an. Ich bekam auch Fieber. "Ich habe es auch," sagte ich zu meinem ältesten Sohn, der ja bei uns ist, und zog mich in das Zimmer unseres mittleren Sohnes zurück, ebenfalls in Quarantäne innerhalb der Quarantäne. Ich deckte mich mit zwei Federbetten zu, meine Hände und Füße blieben eisig, Krankheitsgefühl kam auf. Auf einer Skala von 0 bis 5 war das Krankheitsgefühl 1,5. Wenn ich im Dunklen im Bett lag und meine Podcasts hörte, war ich entspannt und es ging mir nicht schlecht. Wir begannen mit Fiebermessen. Mein Gatte verwendete ein altes Digitalthermometer, das zeigte etwas um die 37 an, das musste falsch sein. Mein Sohn grub ein noch älteres Quecksilberthermometer aus, das zeigte dasselbe. Offensichtlich waren beide Thermometer kaputt. Mein Sohn ging in die Apotheke und kaufte ein neues Digitalthermometer, das zeigte dasselbe. Meine Wangen glühten rot, meine Hände und Füße waren eisig. Wir hatten beide weder Fieber noch Husten, also kein Coronavirus. 
Ich schlief gut und wollte am nächsten Morgen wieder meinem Tagwerk nachgehen. Mein Gatte wollte noch einen Tag in Quarantäne bleiben. Kaum hatte ich ein paar Handgriffe getan, war ich müde, als hätte ich stundenlang körperlich gearbeitet. Ich musste wieder in mein Bett. Sehr leichtes Krankheitsgefühl, das durch Entspannen und Podcasts hören in den Griff gebracht wurde. Dann bekam ich leichten Durchfall. Mein Gatte hatte haargenau dieselben Symptome. Unserem Sohn ging es gut. Auf der Durchfall-Skala von 0 bis 5, 0 ist normaler Stuhlgang, 5 ist die Seele aus dem Leib geschissen, war es eine 2. Kein Husten, kein Fieber. Hatten wir nun das Virus oder nicht? Ich hatte gelesen, dass Verläufe ohne Fieber normalerweise günstiger seien. Das bedeutet doch, dass es Verläufe ohne Fieber gibt, obwohl es das wichtigste Symptom ist, aber! das wichtigste Symptom bei den Getesteten und die Getesteten sind in Spanien nur ein Bruchteil der Erkrankten. Zwischendurch kam noch ganz leichtes Kopfweh dazu, aber das kann auch die Anspannung gewesen sein. Die Stirn meines Gatten war am ersten Tag an der Stelle warm gewesen, mit der er auf dem Kopfkissen gelegen war. Ich fragte meinen Gatten, ob denn einer seiner Kollegen erkrankt sei. Er wusste von keinem, hielt es aber für möglich, dass sie eine Erkrankung verschweigen würden. 
Mein Gatte hatte am Freitag vor der Quarantäne noch gearbeitet und war, wie es seine Gewohnheit ist, mit seinen Kollegen einen Kaffee trinken gegangen. Er arbeitet in der Altstadt, im Touristengebiet. Ich hatte ihn schon vor Wochen gebeten, vorsichtig zu sein, im Parkhaus, zum Beispiel, den Automaten nicht anzufassen (ist möglich) und nur in Cafés zu gehen, die nicht von Touristen besucht werden (haben er und seine Kollegen auch gemacht), aber zwischen dem fünften und dem achten März war in Salamanca die Basketballmeisterschaft der Frauen ausgetragen worden, dazu waren 5000 Menschen von außerhalb gekommen. Die müssen die Stadt massiv verseucht haben - oder zur Verseuchung beigetragen haben. Ich war am Freitag vor der Quarantäne noch einkaufen gewesen, frisches Obst und Gemüse, ohne jeden Schutz, ohne mir die Hände zu desinfizieren.
Ich fasse also zusammen, was uns den Schrecken eingejagt hat: Mehrere Tage sehr leichtes bis leichtes Halsweh, zwei Tage leichtes Krankheitsgefühl, grundlose Erschöpfung, leichter Durchfall, kalte Hände und Füße, rotes Gesicht wie im Fieber, aber kein Fieber und kein Husten.
Könnte es das Coronavirus gewesen sein? Mein Bruder, Arzt, meint nein. Mein Sohn, kein Arzt, meint auch nein. Aber wäre es nicht schön, wenn es das gewesen wäre und wir es hinter uns hätten? 

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